Meer in Sicht
Distanz: 19.1 km
Dauer: 4:55h
Durchschnittsgeschwindigkeit: 3.9 km/h
Temperatur: 23 Grad
Viehzäune: 22
Heute stand eine relativ kurze Etappe von 19km an, die aber einiges an Höhenmetern von uns abverlangte. Unsere Gastgeberin des B&B in Ingleby Cross prophezeite, dass es ein wunderschöner Weg sein wird. Wir sollen doch von überall die Aussicht geniessen und uns auf jedes Bänkchen setzen, das wir antreffen werden. Zudem meinte sie optimistisch, dass sie um 10 Uhr ihre Wäsche draussen aufhängen würde, weil es gutes Wetter geben sollte. Wir waren gespannt, ob es wirklich so kommen wird…
Als ich aufwache, höre ich die Regentropfen, die gegen unser Fenster klopfen. „Oje“, denke ich gleich. Gibt es doch noch eine Regenetappe? Ich zücke sogleich mein iPhone und schaue auf der Wetterapp die Vorhersagen nach. Beruhigt mache ich mich fertig. Es soll bis um 9 Uhr regnen und dann ist für den Rest des Tages ein Wölkchen mit einer Sonne zu sehen. Ein bisschen später als sonst wurde das Frühstück von der Landlady angesetzt. Ein anderes englisches Päärchen aus Leeds isst mit uns. Sie befinden sich nun schon zum 6. Mal auf dieser Strecke. Ihr Ziel ist es, den Weg nun ohne Karte und anderen Navigationsgeräten zu laufen. (Anmerkung von Sämi: Wenn ich 6 Mal zur Küche laufe, weiss ich auch wo es Essen gibt… pffff). Dabei spielen sie gleich noch Guides, da sie 6 Freunde mit auf ihre Reise nehmen. Gestärkt vom Frühstück, bekommen wir von unserer Landlady unser Lunchpaket ausgehändigt. Es ist eine riesige Plastiktüte (Anmerkung von Sämi: Wirklich – ich dachte, dass wir wahrscheinlich den ganzen Tag mit essen statt mit wandern beschäftigt sein werden), in der sich ein Sandwich, ein Stück Kuchen, eine Frucht, ein Päckchen Chips und ein Wasser befinden (Anmerkung von Sämi: Sogar ein Päcklein Salz – ohne dass wir danach gefrat hatten, was natürlich Julia riesig freute. Und ja: Sie hat dann auf ihr Chicken-Sandwich am Mittag Salz gesträut). Ich frage mich, wann soll ich all das essen? Das Sandwich an sich hätte mir längstens gereicht! Irgendwie stopfen wir das viele Essen in unsere Rucksäcke. Ich habe wirklich Mühe ihn zuzubekommen! Sämi montiert noch die Sohlen aus seinen Turnschuhen in seine Wanderschuhe – hoffentlich geht das gut!
Kurz nach 9 Uhr laufen wir los. Unsere Frühstücksbekanntschaften treffen sich gerade mit ihren Freunden. Da unsere Unterkunft nicht auf der Wanderstrecke liegt, müssen wir heute am Ende der Etappe abgeholt werden. Wir dürfen aber nicht vor 3 Uhr nachmittags anrufen, daher können (dürfen!) wir heute nicht Gas geben! Wir folgen dem Weg der gerade am Anfang unseren Puls in die Höhe schnellen lässt. Es geht steil nach Oben! Irgendwo in meinem Hinterkopf blitzt wieder herauf, dass es heute noch ein paar mal hoch gehen wird – insgesamt sind es 6 Gipfel zu erklimmen! Anfangs führt der Weg durch ein Waldstück. Ich finde es wunderschön! Sämi stört sich an den Brennesseln, die den Weg säumen. Ich habe hingegen in den letzten Tagen immer wieder mit den Disteln Mühe gehabt.
In einer Kurve treffen wir auf das Paar aus Melbourne, mit denen wir in den letzten paar Tagen gefrühstückt haben. Eine Weile laufen wir gemeinsam. Sie erzählt von ihren Kindern, die im Alter von Sämi und mir sind und dass sie ganz hier in der Nähe geboren wurde. Sie benutzt Wanderstöcke, weil sie Mühe mit den Abstiegen hat. Deswegen verabschieden wir uns auch beim ersten Abstieg, wünschen eine gute Wanderung und ziehen in unserem gewohnten Schweizer-Gämsen-Tempo (kurz SGT genannt) davon! Wir haben mittlerweile das Hochplateau des North Yorkshire Moor Nationalpark erreicht. Gegen 12 Uhr planen wir unser mehrgängiges, riesen Mittagessen einzunehmen. Sämi schlägt vor, dass wir uns auf der nächstbesten Bank niederlassen. Gute Idee, finde ich! Unsere Landlady hat ja von so vielen Bänkchen gesprochen, dass ich überzeugt war, dass es auf den Gipfeln einige haben wird, um die schöne Aussicht zu geniessen. Auf dem 2. Gipfel hat es keines. Ok, auch nicht so schlimm… dann machen wir halt ein paar Kilometer weiter unsere Pause und erklimmen noch den 3. Gipfel. Auch da oben: von einem versprochenen Bänkchen keine Spur…! Dann setzen wir uns halt auf ein paar Steine und geniessen den Blick in die Ferne. Wir machen Middlesborough aus und noch weiter hinten, am Horizont, die Nordsee! Unser Ziel! Das andere Ende dieser Insel! Wahnsinn, dass schon so viele Wandertage vergangen sind und wir unserem Ziel in greifbarer Nähe befinden. Nach dem Sandwich macht Sämi ein kleines Nickerchen (Anmerkung von Sämi: ich bin dann nach 20 Minuten ab meinem eigenen Schnarchen aufgewacht!). Nach einer Weile kommt die Gruppe von heute Morgen auch auf dem Gipfel an. Der Mann erzählt mir, dass es unten im Tal ein Kaffee hat. Wow, das hätte ich nicht gedacht und überhaupt nicht erwartet. Hier im Nationalpark ein Kaffee und gestern 37km lang gar nichts! Unglaublich! Gemütlich steigen wir ins Tal, laufen ein Stück der Hauptstrasse entlang und entdecken das Kaffee. Grossartig! So komme ich unverhofft zu meinem Kaffee! Da wir ja nicht vor 3 Uhr im letzten Kilometer der Etappe sein dürfen, lassen wir uns Zeit. Ich beobachte die vielen Wanderer, die vorbeikommen. Einige habe ich noch nie gesehen, andere bekannte Gesichter tauchen auf. Durch das, dass wir gestern wieder zwei Etappen aneinander hatten, ist der Block an Mitwandern nochmals ordentlich durchmischt worden. Irgendwann raffen wir uns doch wieder auf, um die letzten 6 Kilometer des Tages in Angriff zu nehmen. Die letzten 2 Gipfel sind steinig… Steinstufen führen hinauf, sowie auch Steinstufen wieder runterführen. Vor dem letzten Kilometer ist eine riesen Ansammlung von Steinen, die wir hochklettern. Eine fantastische Sicht haben wir von da oben.
Diese Steine sind auch der Punkt, von dem wir unser B&B anrufen müssen, um nachher abgeholt zu werden. Ich rufe an… es nimmt niemand ab. Gerade als ich auflege, höre ich noch eine Stimme. Ok… ich rufe wieder an… besetzt, wieder besetzt und wieder besetzt. Eine Weile versuche ich immer wieder, bis es endlich läutet. Der Mann am anderen Ende der Leitung erklärt mir, wo er dann auf uns warten wird. Ich höre nur mit einem Ohr zu, da ja auf unserer Reisebeschreibung stand, dass wir im Car Park abgeholt werden. Der letzte Abstieg zieht sich noch dahin… viele steinige Stufen. Als wir unten ankamen, sehen wir plötzlich das Ehepaar aus Manchester. Wir rennen die letzten paar Meter auf sie zu… sie schütteln nur den Kopf. Haben die zwei Verrückten immer noch zu viel Energie? Die Frau, dessen Namen wir heute rausgefunden haben, nämlich Avril, hatte super Mühe mit dieser Etappe, da es halt immer wieder hoch und runter ging. Auch das Paar aus Melbourne war da unten anzutreffen. Die beiden Paare konnten gerade zusammen abgeholt werden, da sie am gleichen Ort schlafen werden. Wir setzen uns auf die Mauer des Car Parks und ich frage mich, ob wir am richtigen Ort warten. Ich möchte am liebsten gleich wieder anrufen, aber Sämi meint, wir warten noch ein bisschen. Nach ein paar Minuten fährt dann ein dunkelblauer Kombi mit zwei riesigen sabbernden Monsterhunden im Kofferraum vor. Ein Mann mit grauen Haaren steigt aus und fragt uns, ob wir angerufen hätten. Er hatte eben schon seit einer Weile direkt unterhalb der Treppen gewartet. Da habe ich wohl nicht mehr richtig zugehört gehabt! Bei der zweiten Frage, die er stellt, müssen wir zwei Mal hinhören. „Wo kommts ihr denn her?“, hören wir! Im Kopf muss ich das zuerst irgendwie einordnen. Das war ja Deutsch – Bayrisch um genau zu sein! „Aus Basel“, geben wir bekannt. Er sei aus Heidelberg! Witzig, wie die Welt klein ist! Die beiden riesen Hunde im Kofferraum sabbern mir auf den Kopf, während ich mich auf die Hinterbank fallen lasse. Die Fahrt geht los und er erzählt uns kurz, wie es ihn nach hierher verschlagen hat! Auch er war früher mal „Pauker“, wie er sagte! Nach einer super Dusche (mit festem Strahl… ist hier eher eine Seltenheit), freuen wir uns auf die deutsche Küche von heute Abend! Anmerkung von Sämi: Die Sohlen haben gehalten. Keine Blasen, kein Muskelkater. Wird es auch mal anstrengend? Anmerkung Julia: Blöffsack!
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