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Letztes

Grande finale

Distanz: 11.72 km + 18.22 km

Dauer: 2:21h + 3:57h

Durchschnittsgeschwindigkeit: 5 km/h + 4.6 km/h

Temperatur (max): 17 Grad + 21 Grad

Viehzäune durchquert: 21

So…heute ist unser letzter Tag, bis wir die andere Küste nach 300km endlich erreichen! Heute erwartet uns nochmals eine lange Etappe – über 30km. Dazu kommen noch einige Höhenmeter, die zu passieren sind, bevor wir unsere Steine der Nordsee überlassen können. Ob wir es schaffen? Ob wir es nach all den Strapazen der letzten Tage nochmals fertig bekommen, unsere Beine auf diese Etappe zu schicken?

Erstaunlicherweise haben wir beide gut geschlafen. Wir hatten am Abend vorher so spät gegessen – wir mussten im Pub eine geschlagene Stunde auf unser Essen warten. Ich fing fast an zu weinen. Ich konnte nicht mehr. Ich hatte Hunger und sah, wie alle anderen mit Essen bedient wurden. Ich war drauf und dran zu fragen, welches Gericht denn am schnellsten zubereitet werden könnte. Ich wollte einfach nur essen und ins Bett. Ich war müde und mein rechter Mittelfuss schmerzte, er war geschwollen. Aber Sämi hielt mich davon ab und lehrte mich Geduld auszuüben. Anmerkung von Sämi: „Sei Gedulig und behalte stets die Nerven“, sprach schon Konfuzius.

Mit Sudokus lenkten wir uns ab. Endlich wurde unser Essen an den Tisch gebracht. Endlich!!! Ich muss sagen, es war dann wirklich fein. So ein gutes Stroganoff habe ich auswärts noch nie gegessen. Anmerkung von Sämi: Ich glaube, dass die Qualtität des Stroganoff in erster Linie ein psychologischer Effekt war. Meine Fish and Chips waren Fish and Chips – nichts dass eine Stunde Wartezeit rechtfertigen würde. Und meine Nerven – mit einer Maslowschen getriebenen Julia neben mir… Im Prinzip hätten sie mir das Essen bezahlen müssen.

Unsere feine Malzeit haben wir regelrecht verschlungen. Schnurstracks sind wir dann aber ins Bett gehüpft. Ich habe mir Sorgen um meinen Fuss gemacht und gehofft, dass ihm die Nachtruhe auch gut tut.

Wie gewohnt stehe ich um 6 Uhr auf. Meinem Fuss geht es um Welten besser. Ich bin so froh! Am Frühstückstisch lernen wir ein Päärchen aus Hong Kong kennen. Sie sind fasziniert, wie schnell wir unterwegs sind. Sie machen unterwegs nie Pausen, während wir uns gerne mal ein Stündchen Mittagspause mit einem Käffeli gönnen und kommen dann immer noch vor ihnen am Ziel an. Gestärkt, brechen wir zackig auf. Ich lege gleich mit dem Tempo los. Sämi fragt mich, ob ich den Bergpreis der „Tour de Coast to Coast“ gewinnen möchte. Ich gebe nur zurück, ob es zu schnell sei. Er verneint und ist glaube ich froh, dass wir nicht schleichen! Anmerkung von Sämi: Julia Schumacher, kann ich da nur sagen. Während es durchaus in den letzten Tagen Etappen gab, wo wir nahezu durch die Moore geschlichen sind, hatte sie nun den Overdrive eingeschaltet. Das wäre nicht weiter schlimm. Aber: Am Morgen hat es geregnet. Und der Weg war weiterhin gepflastert von Steinen, die nun wirklich rutschig wurden.

Zuerst haben wir ein Waldstück zu durchqueren, bevor wir dann an einer Wiese mit lauter Kälbern vorbeikommen. Schon von weitem hören wir extrem lautes Muhen. Die Kälber schreien schlichtweg im Chor. Sämi stellt sich vor das Gatter und alle Kälber bewegen sich langsam muhend auf ihn zu. Es wird ihm dann doch ein bisschen mulmig und wir ziehen weiter. Anmerkung von Sämi: Wer schon mal ca. 50 Kälber, die in einem Halbkreis um einen herumgestanden sind und gleichzeitig (wirklich gleichzeitig) muhen, weiss, das ist einkomisches Gefühl…

Dann sehen wir, wie der Bauer mit Fressen auf die Wiese fährt. Jetzt ist uns klar, warum es den Kälbern so schlecht ging. Sie waren so hungrig wie wir gestern Abend! Wir kommen noch an einem alten Zollgebäude vorbei. Die Preisschilder für den Wegzoll sind noch angeschlagen: So kostete es 1948 (!) über ein Pfund hier mit einem Leichenwagen durchzufahren…

Das nächste Städtchen, das wir erreichen ist Grosmont. Dort planen wir einen Stopp im Coop einzulegen, um unsere Wasserreserven für den Tag aufzufüllen. Wir kommen im Städtchen an, sehen dass die paar Tea-Rooms noch geschlossen sind und schauen uns um, wo der Coop sein könnte. Ich gehe dann auf einen Mann zu und frage ihn. Er deutet auf einen Laden, der aussieht, als sei er ein „Tante-Emma Laden“. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass das ein Coop ist. In diesem mini Coop bunkern wir Wasser. Die Einwohner von Grosmont versammeln sich unterdessen am Bahnhof: ein Dampfzug soll bald hier vorbei fahren – das Grossereignis des Tages? Von da an gings für uns bergauf, und zwar für geschlagene 3 Kilometer. Da wir auf der Strasse bergauf laufen konnten, finde ich die Steigung nicht so schlimm. Ich denke zurück an eine Steigung der ersten Tage, bei der ich zuerst noch einen festen Tritt finden musste, um mich abstossen zu können. Anmerkung von Sämi: Genau diese Steigungen finde ich dafür das Letzte. Es ist so, als hätte man Punkt A mit Punkt B verbinden wollen und einfach ein Lineal darfür benutzt – egal wie es mit den Höhenkurven aussehen würde. Über 35% Steigung auf einer Teerstrasse! Da vergeht einem sogar der Spass beim Rauflaufen…

Während wir hochrennen (ja, man kann wirklich fast sagen, dass wir am Rennen sind) überholen wir den einsamen Australier. Ich weiss nicht, ob wir ihn eigentlich schon einmal erwähnt haben. Er ist mit Sack und Pack alleine unterwegs und trägt auch immer sein ganzes Gepäck mit sich. Läuft aber nicht in wirklichen Trekkingkleidern, sondern im Hemd. Sämi findet, er sieht aus wie der letzte Fallschirmspringer. Ich glaube, er hat ein Burn out und ist dabei sich zu erholen. Auf die Frage, was er nach diesem Trail machen wird. Weiss er keine Antwort. Er möchte noch ein bisschen in England bleiben und dann wird er eine weitere Wanderung auf sich nehmen. Über Moorfelder steigen wir ab ins Tal. Dort endet offiziell die eine Etappe. Unsere heutige Etappe besteht eben wiedermal aus 2 Teilen! Wir starten unsere Uhren neu und laufen los. Für mich ist es extrem wichtig zu wissen, wieviel Kilometer breits vorbei oder eben noch zu laufen sind.

Im Reiseführer stand, dass dieser letzte Teil der Strecke, die schönste Etappe sein wird, weil sie ein bisschen von allem enthält. Sie startet mit einem wunderschönen Waldstück. Ich liebe es durch die grünen Wälder zu laufen. Es fühlte sich an, als wären wir in einem Märchenwald. Anmerkung von Sämi: Man wartet förmlich darauf, das irgendwo ein Kobold herausspringt…

Nach 2 Kilometern gelangen wir zu einem Wasserfall, der mich irgendwie an den Film „The Beach“ erinnert. Dort mitten im Wald steht ein zuckersüsses (Anmerkung von Sämi: Oh ja, süss im wahrsten Sinne des Wortes: all dieser Zucker, den die dort täglich verarbeiten…) Kaffee mit ganz vielen frischen Kuchen. Ich bestelle mir gleich einen Kaffee (war ja klar!) und einen Fruit Scone. Mmmh… dieses Gebäck ist so lecker. Ich werde es, wenn wir zurückkommen bald nachbacken! Sämi sucht sich 2 verschiedene Stücke Zitronenkuchen aus (Anmerkung von Sämi: Die haben offenbar mein Rezept für Zitronenkuchen kopiert – Frechheit). Am Tisch neben uns sitzt das Paar aus Melbourne. Sie dachten, dass wir sie einholen werden. Sie sind nämlich schon morgens nach 7 Uhr gestartet. Vom Waldkaffee sind sie auch ziemlich schnell wieder auf dem Weg. Wir lassen uns hingegen noch ein bisschen Zeit! Anmerkung von Sämi: Merke – zwei Zitronenkuchen auf einen Schlag zum Mittagessen resultieren in einen wunderbaren Zuckerschock (diese Weisheiten sollte ich mal für mich gesondert aufschreiben, sonst vergess… -oh, was wollte ich sagen?)

Das schöne Waldstück ist bald zu Ende und das nächste Drittel – die Moorlandschaften – heisst es zu durchqueren. Dort überholen wir sie dann wieder! Wir ziehen nun davon. Unser Ziel ist es, einfach bald anzukommen ohne lange herumzutrödeln. Anmerkung von Sämi: Julia war auch auf diesem Teilstück vorne, wie schon im ersten Teil der Etappe – ohne Karte, ohne GPS. Ich überlasse es euch selbst das Resultat auszumalen. Nur ein paar Stichworte: ist das der richtige Weg? Wollen wir es uns nicht einfacher machen? Ich übernehme nun die Führung! Anmerkung Julia: Ja… einmal im Moor habe ich plötzlich den Weg nicht mehr gesehen und bin ein bisschen abseits davon gelandet.

Nach den Mooren – zum Glück gibt es heute nicht mehr so sumpfige Stellen – kommt der Küstenabschnitt. Schon 6 Kilometer vor Robin Hoods Bay kommen wir zur Küste und müssen einen kleinen Weg dem Meer entlang laufen. Es ist hier, wo sich der Kreis zur ersten Etappe schliesst, bei der man nach dem Start ja auch dem Meer folgt. Ich muss mich zusammenreissen, da es noch 6 Kilometer geht! Ich weiss auch, wenn wir in Robin Hoods Bay landen, müssen wir zuerst einchecken, bevor wir runter ans Meer laufen können. Gesagt, getan! Wir deponieren schnell unsere Taschen in unserem Zimmer und stapfen die steile Strasse des touristischen Städtchens hinunter. Ganz herzige Lädelchen säumen die Strasse.

Wir haben aber keine Zeit zu bummeln. Das Meer wartet. Das Päärchen aus Hong Kong kommt mit uns am Meer an. Am Meer laufen mir nur noch die Tränen der Erleichterung und Freude runter. Wir haben es geschafft! Wir sind von einer Küste zu anderen gelaufen! Ich bin bis heute noch nie 12 Tage am Stück gewandert. Unglaublich! Topolino und Duda werden zuerst noch fotografiert, bevor wir sie einer nach dem anderen der Nordsee überlassen. Nach ein paar Fotos, setzen wir uns in die Wainright’s Bar, wo wir auf die anderen Coast-to-Coaster warten. Im ersten Stock der Bar hat es zudem ein Buch, in dem wir uns eintragen, dass wir den Weg in 12 Tagen geschafft haben!

Dann stossen wir – ich mit Prosecco und Sämi mit Wainright’s Bier – an. Langsam langsam schaffen es dann auch die Australier und auch die aus Manchester. Die Frau flucht wie ein Rohrspatz, als sie ankommt. Was für Ferien waren das überhaupt! So einen Mist habe ich schon lange nicht mehr gemacht! Wir lachen, stossen an, snacken was. Ich spüre die 2 Proseccos sehr schnell… muss nun aber wieder den Hügel hoch zu unserem B&B. Puh… es wart hart! Nun gibt es eine schnelle Dusche, denn ganz bald treffen wir uns mit dem Päärchen aus Manchester zum Abendessen. Dabei entscheiden wir uns auch, dass wir morgen den Zug schon früher nach Manchester nehmen werden. Die Geschäfte haben eben dort bis um 17.30 Uhr offen und wir würden gerne bei ein paar Läden vorbeischauen.

Müde fallen wir um halb 11 ins Bett. Es ist komisch zu wissen, dass nun alles vorbei ist. Ich könnte eigentlich weiter laufen. Ich habe Mühe, dass wir wieder in den Alltag zurückkehren. Es war wunderschön und ich würde jederzeit eine solche Reise wieder in Angriff nehmen. Danke, mein Liebster, für dieses grosse Geburtstagsgeschenk!

Epilog und Danksagung – was am Ende übrigbleibt

Die Wanderung von Julia und mir quer durch England war ein grosses Abenteuer. Ehrlich gesagt: Wir sind nicht an unsere Grenzen gekommen. Aber: Ich kann mir nichts besser vorstellen, um Seele, Hirn und Muskeln in den Einklang zur bringen. Ich habe in den letzten Wochen viel Zeit gehabt, über das Leben nachzudenken und habe endlich mal die Zeit gehabt für mich ein paar Entscheigungen zu treffen.

Die Reise war unglaublich: unglaublich schön, unglaublich anstregend (trotz allem). Wir hatten viel Glück: sehr gutes Wetter, keine Verletzung, fast keine Blasen, keine gesundheitlichen Probleme. Und so endet es. An dieser Stelle bleibt nur noch danke zu sagen:

An Julia – dass sie mich immer erträgt und bei meinen Spinnereien (wie diese Reise) mitmacht

An Leiti – dass er den Laden in meiner Abwesenheit gut im Griff hatte (glaube ich zumindest)

An Rooven und Bao – für das Training in den letzten Monaten: Die Fortschritte seit Schottland waren unwahrscheinlich gross

An unsere Mitreisenden – für die vielen Lacher und tollen Gespräche

An Euch – für das Lesen dieser Spinnerei!

Liebste Grüsse

Julia & Sämi

P.S. Mein Wanderschuh ist durch…

Vom Wind und fliegenden Zecken

Distanz: 27.8 km

Dauer: 5:45h

Durchschnittsgeschwindigkeit: 4.8 km/h

Temperatur (max): 19 Grad

Viehzäune: 11

Wenn wir einen Preis für die unspannenste, ja fast schon langweiligste Etappe vergeben müssten, die heutige Etappe würde mit viel Abstand gewinnen. Sie hatte landschaftlich wirklich sehr wenig zu bieten und das Wetter hat mal noch kurz gezeigt, was man so unter englischem Wetter alles verstehen könnte. Wir sind dafür jetzt am Vorabend der letzten Etappe. Aber mal der Reihe nach.

Nach der bayrischen Begrüssung von unserem Abholservice und Gastgeber, geht es auch weiter unenglisch am Abend zu und her. Wir essen im Pub an welches das B&B angegliedert ist. Es ist wirklich eine Wohltat für den Magen, denn wir bekommen ausnahmsweise mal keinen typischen Pub-Food: Keine Burgers, keine Chips, keine Pilze, kein Garlic-Bread. Stattdessen isst Julia einen Chicken-Salat, der sogar noch fein schmeckt. Und auch bei mir steht etwas völlig anderes auf dem Speiseplan: Rippchen mit Spätzle an einer Rotweinsauce. Dazu nehmen wir noch zusammen einen Teller frisches Gemüse. Es ist wirklich lecker und für unsere Mägen eine Wohltat. Hinter uns sitzt die einsame Wanderin aus Deutschland. Wir kommen in ein gutes Gespräch und sie erzählt uns von ihren Erfahrungen und ihrem Leben. Bis jetzt war sie noch eine der wenigen, die ihr Gepäck komplett selbst geschleppt hatte. Das hat sie mittlerweie aufgeben und geniesst nun auch das leichte Laufen… Julia und ich sitzen dann noch in den schönen Garten und schreiben ein wenig, bevor wir zwar totmüde aber schlafnichtfindend uns wach ins Bett legen.

Am nächsten Morgen sind wir beide nicht so guter Dinge. Der unruhige und wenige Schlaf, den wir beide hatten, zerrt an unseren Kräften. Auch geht der Tagesrythmus in diesem B&B bereits 30min vorher los, als wir es uns in den letzten 10 Tagen angewöhnt haben. Was das Abendessen war, ist das Frühstück nicht – wir kommen nicht auf unsere Kosten. Es gibt keine Früchte, keinen Joghurt und nur weissen Toast! Unsere Laune wird also nicht besser. Der Gastgeber fährt die Leute mit seinem Kombi wieder an den Ausgangspunkt zurück – die Hunde nimmt er aber diesmal nicht mit. So beginnen wir bereits um 08h45 mit Laufen. Ein kurzer aber intensiver Anstieg ist die Morgenaufgabe. Und dann erreichen wir eine Moorlandschaft, die im Gegensatz zu den letzten Tagen sehr wenig zu bieten hat. Auch die Aussicht hat wenig Reiz. Wenige Schafe, noch weniger Menschen begegnen wir auf dem Weg. Eines der wenigen Schafe kann ich dann aber sogar noch ganz kurz steicheln (Mission erfüllt). Irgendwann beschliessen wir beide, dass wir ein wenig Musik hören und so stopfen wir die Kopfhörer in die Ohren.

Nach genau 2 Stunden und 50 Minuten erreichen wir das Lions Inn auf dem Blakey Ridge. Mittlerweile hat sich das Wetter von leicht bewölkt hin zu leichtem Regen und starkem Wind gewendet. Der Wind kommt ausnahmsweise nicht von Westen her. Das heisst, er ist nicht in unserem Rücken – sondern in unserem Gesicht. Er bläst uns den leichten Regen direkt an. Wir sind froh, dass wir das Pub sehen. Es ist das 4. höchstgelegene Pub im britischen Königreich. Und so beginnen wir unsere obligatorische Pause bereits früher. Im Pub sind bereits die beiden Australier. Wir setzen uns neben sie und ich gehe an die Bar bestellen. Schock: Sandwiches gibt es erst ab 12 Uhr und es ist aktuell 11.30 Uhr. Meine Laune wird nicht besser. Wenigsten gibt es für Julia bereits einen Kaffee. Da wir am Morgen ein wirklich flottes Tempo hatten (wir hatten ja faktisch keine andere Wahl), beschliessen wir hier zu warten. Um 11h55 stürme ich erneut an die Bar und bestelle endlich die obligatorischen Sandwiches. Wir stärken uns für den zweiten Teil unserer Wanderung.

Um 12.30 Uhr raffen wir uns wieder auf gehen nach draussen und wollen weiter ziehen. Draussen ist es mittlerweile trocken und der Wind hat nachgelassen. Ich entscheide trotzdem mein leichtes Softshell über das T-Shirt anzuziehen. Julia hat schon ihre Regenjacke an. Wir machen die ersten paar hundert Meter. Ich bekomme kalt (ich – nicht Julia!). Anhalten. Rucksack auf. Polarschicht rausnehmen und anziehen, darüber das Softshell. Rucksack zu weiterlaufen. Dann beginnt es zu nieseln. Nicht wirklich regnen. Aber ist ein sehr unangenehmer Nieselregen, der zudem nicht vertikal von der Erdanziehungkraft angezogen wird, sondern ein sich horizontal in einem Orbit um die Erde befindlichen Nieselregen. Da ein paar hundert Meter weiter vorne das Wetter noch garstiger ausschaut, bleiben wir erneut stehen. Julia zieht unter ihre Regenjacke ihre Polarschicht und darüber ihre Softshellschicht. Ich entscheide mich für meine Überwurfspelerine. Was sich als absolut dumm erweist, bei diesem Wind. Also Pelerine wieder ab. Rucksack wieder auf. Hartschellschicht raus. Softschellschicht abziehen. Hartschellschicht anziehen. Softschellschicht in den Rucksack. Rucksack zu. Weiterlaufen. Wir folgen weiter dem Weg. Es zieht sogar etwas Nebel auf. Wir sehen eigentlich nichts mehr von der Landschaft und an eine Fernsicht ist schon gar nicht zu denken. Da der Weg die Himmelsrichtung ändert, ändert sich auch die Angriffsrichtung des Windes. Wir haben endlich etwas Glück. Er bläst uns nun in den Rücken. Wir ziehen über einen Gebirgskamm und der Regen hört auf. Ich bekomme langsam warm. Also stoppen wir wieder und ich ziehe meine Polarschicht ab und verstaue sie im Rucksack. Zwischendurch lesen wir auf einem Schild, dass in diesem Gebiet giftige Nattern und Zecken leben. Na schöne Aussichten! Julia regt sich über den immer wiederkehrenden Jackenumziehstopps von mir etwas auf und meint, ich sei sehr kompliziert! Denn nach wenigen Metern entschliesse ich mich dann auch das Hartshell in mein Softshell zu wechseln.

Irgendwann klart es auf. Und der Blick wird frei in ein wirklich schönes Tal. Der Tag wird irgendwie doch noch etwas versöhnlich. Wir holen die Australier wieder ein, die 45 Minuten vor uns vom Lions Inn gestartet sind. Die letzten Kilometer laufen wir mit ihnen zusammen, bis sie zu ihrem B&B abbiegen. Ihr B&B ist anfangs des Dorfes und unseres am ganz anderen Ende. Auf meiner App zeigt es mir an, dass wir noch 17 Minuten laufen müssen, bis wir es erreichen. Julia macht schon ganz grosse Augen, als sie die Zahl sieht, kann sich aber dennoch zusammenreissen. Wir spazieren also durch Glaisdale hindurch. Plötzlich sehen wir von weitem unser B&B. Es ist direkt hinter dem Bahnhof. So müssen wir durch den Bahnhof, streifen durch ein wildes Feld und erreichen das Gatter des Häusschens – müde und etwas erschöpft. Es gibt gleich eine Tasse Kaffee für Julia und einen Krug Tee für mich. Als wir uns retablieren und umziehen passiert die Überraschung: fliegende Zecken! Julia hat eine. Ich habe eine. Sie haben sich aber noch nicht festgebissen. Daher werden sie sofort fachgerecht behandelt (entsorgt im WC). Ich habe solche Dinger noch nie gesehen. Wenn aber Zecken fliegen lernen, dann sind dann bald auch fliegende Elefanten bei uns eventuell möglich… Anmerkung Julia: Ich habe diese fliegenden Dinger gleich gegoogelt: Es sind Hirschlausfliegen eben auch als fliegende Zecken bekannt. Unheimlich diese Dinger! Sie lassen sich einfach nicht zerdrücken!

Unsere inneren Uhren sagen, dass wir bald am Ziel ankommen. Entsprechend sind wir im Moment damit beschäftigt die nun aufbrechenden Wehwehlis unserer Körper in den Griff zu bekommen. Bei mir ist mein linker Oberschenkel, der ja immer etwas herumzickt, plötzlich wieder zur Überzeugung gelangt, dass er so richtig hart werden könnte. Auch mein rechter grosser Zehe hat gefunden, dass er eine kleine lokale Entzündung vom Zaun brechen könnte. Julia tapt mir den Oberschenkel, was wirklich eine Wohltat ist. Anmerkung Julia: Ich spüre meinen rechten Mittelfuss und meine linke Wade. Meinen Mittelfuss habe ich mir auch getapt. Unsere Wehwehlis müssen wir nur noch 32 Kilometer weit tragen. Dann sind wir am Ziel und haben es geschafft! Morgen Abend werden somit Duda und Topolino ihren Weg in die Nordsee finden und wir werden bestimmt darauf anstossen!

Meer in Sicht

Distanz: 19.1 km

Dauer: 4:55h

Durchschnittsgeschwindigkeit: 3.9 km/h

Temperatur: 23 Grad

Viehzäune: 22

Heute stand eine relativ kurze Etappe von 19km an, die aber einiges an Höhenmetern von uns abverlangte. Unsere Gastgeberin des B&B in Ingleby Cross prophezeite, dass es ein wunderschöner Weg sein wird. Wir sollen doch von überall die Aussicht geniessen und uns auf jedes Bänkchen setzen, das wir antreffen werden. Zudem meinte sie optimistisch, dass sie um 10 Uhr ihre Wäsche draussen aufhängen würde, weil es gutes Wetter geben sollte. Wir waren gespannt, ob es wirklich so kommen wird…

Als ich aufwache, höre ich die Regentropfen, die gegen unser Fenster klopfen. „Oje“, denke ich gleich. Gibt es doch noch eine Regenetappe? Ich zücke sogleich mein iPhone und schaue auf der Wetterapp die Vorhersagen nach. Beruhigt mache ich mich fertig. Es soll bis um 9 Uhr regnen und dann ist für den Rest des Tages ein Wölkchen mit einer Sonne zu sehen. Ein bisschen später als sonst wurde das Frühstück von der Landlady angesetzt. Ein anderes englisches Päärchen aus Leeds isst mit uns. Sie befinden sich nun schon zum 6. Mal auf dieser Strecke. Ihr Ziel ist es, den Weg nun ohne Karte und anderen Navigationsgeräten zu laufen. (Anmerkung von Sämi: Wenn ich 6 Mal zur Küche laufe, weiss ich auch wo es Essen gibt… pffff). Dabei spielen sie gleich noch Guides, da sie 6 Freunde mit auf ihre Reise nehmen. Gestärkt vom Frühstück, bekommen wir von unserer Landlady unser Lunchpaket ausgehändigt. Es ist eine riesige Plastiktüte (Anmerkung von Sämi: Wirklich – ich dachte, dass wir wahrscheinlich den ganzen Tag mit essen statt mit wandern beschäftigt sein werden), in der sich ein Sandwich, ein Stück Kuchen, eine Frucht, ein Päckchen Chips und ein Wasser befinden (Anmerkung von Sämi: Sogar ein Päcklein Salz – ohne dass wir danach gefrat hatten, was natürlich Julia riesig freute. Und ja: Sie hat dann auf ihr Chicken-Sandwich am Mittag Salz gesträut). Ich frage mich, wann soll ich all das essen? Das Sandwich an sich hätte mir längstens gereicht! Irgendwie stopfen wir das viele Essen in unsere Rucksäcke. Ich habe wirklich Mühe ihn zuzubekommen! Sämi montiert noch die Sohlen aus seinen Turnschuhen in seine Wanderschuhe – hoffentlich geht das gut!

Kurz nach 9 Uhr laufen wir los. Unsere Frühstücksbekanntschaften treffen sich gerade mit ihren Freunden. Da unsere Unterkunft nicht auf der Wanderstrecke liegt, müssen wir heute am Ende der Etappe abgeholt werden. Wir dürfen aber nicht vor 3 Uhr nachmittags anrufen, daher können (dürfen!) wir heute nicht Gas geben! Wir folgen dem Weg der gerade am Anfang unseren Puls in die Höhe schnellen lässt. Es geht steil nach Oben! Irgendwo in meinem Hinterkopf blitzt wieder herauf, dass es heute noch ein paar mal hoch gehen wird – insgesamt sind es 6 Gipfel zu erklimmen! Anfangs führt der Weg durch ein Waldstück. Ich finde es wunderschön! Sämi stört sich an den Brennesseln, die den Weg säumen. Ich habe hingegen in den letzten Tagen immer wieder mit den Disteln Mühe gehabt.

In einer Kurve treffen wir auf das Paar aus Melbourne, mit denen wir in den letzten paar Tagen gefrühstückt haben. Eine Weile laufen wir gemeinsam. Sie erzählt von ihren Kindern, die im Alter von Sämi und mir sind und dass sie ganz hier in der Nähe geboren wurde. Sie benutzt Wanderstöcke, weil sie Mühe mit den Abstiegen hat. Deswegen verabschieden wir uns auch beim ersten Abstieg, wünschen eine gute Wanderung und ziehen in unserem gewohnten Schweizer-Gämsen-Tempo (kurz SGT genannt) davon! Wir haben mittlerweile das Hochplateau des North Yorkshire Moor Nationalpark erreicht. Gegen 12 Uhr planen wir unser mehrgängiges, riesen Mittagessen einzunehmen. Sämi schlägt vor, dass wir uns auf der nächstbesten Bank niederlassen. Gute Idee, finde ich! Unsere Landlady hat ja von so vielen Bänkchen gesprochen, dass ich überzeugt war, dass es auf den Gipfeln einige haben wird, um die schöne Aussicht zu geniessen. Auf dem 2. Gipfel hat es keines. Ok, auch nicht so schlimm… dann machen wir halt ein paar Kilometer weiter unsere Pause und erklimmen noch den 3. Gipfel. Auch da oben: von einem versprochenen Bänkchen keine Spur…! Dann setzen wir uns halt auf ein paar Steine und geniessen den Blick in die Ferne. Wir machen Middlesborough aus und noch weiter hinten, am Horizont, die Nordsee! Unser Ziel! Das andere Ende dieser Insel! Wahnsinn, dass schon so viele Wandertage vergangen sind und wir unserem Ziel in greifbarer Nähe befinden. Nach dem Sandwich macht Sämi ein kleines Nickerchen (Anmerkung von Sämi: ich bin dann nach 20 Minuten ab meinem eigenen Schnarchen aufgewacht!). Nach einer Weile kommt die Gruppe von heute Morgen auch auf dem Gipfel an. Der Mann erzählt mir, dass es unten im Tal ein Kaffee hat. Wow, das hätte ich nicht gedacht und überhaupt nicht erwartet. Hier im Nationalpark ein Kaffee und gestern 37km lang gar nichts! Unglaublich! Gemütlich steigen wir ins Tal, laufen ein Stück der Hauptstrasse entlang und entdecken das Kaffee. Grossartig! So komme ich unverhofft zu meinem Kaffee! Da wir ja nicht vor 3 Uhr im letzten Kilometer der Etappe sein dürfen, lassen wir uns Zeit. Ich beobachte die vielen Wanderer, die vorbeikommen. Einige habe ich noch nie gesehen, andere bekannte Gesichter tauchen auf. Durch das, dass wir gestern wieder zwei Etappen aneinander hatten, ist der Block an Mitwandern nochmals ordentlich durchmischt worden. Irgendwann raffen wir uns doch wieder auf, um die letzten 6 Kilometer des Tages in Angriff zu nehmen. Die letzten 2 Gipfel sind steinig… Steinstufen führen hinauf, sowie auch Steinstufen wieder runterführen. Vor dem letzten Kilometer ist eine riesen Ansammlung von Steinen, die wir hochklettern. Eine fantastische Sicht haben wir von da oben.

Diese Steine sind auch der Punkt, von dem wir unser B&B anrufen müssen, um nachher abgeholt zu werden. Ich rufe an… es nimmt niemand ab. Gerade als ich auflege, höre ich noch eine Stimme. Ok… ich rufe wieder an… besetzt, wieder besetzt und wieder besetzt. Eine Weile versuche ich immer wieder, bis es endlich läutet. Der Mann am anderen Ende der Leitung erklärt mir, wo er dann auf uns warten wird. Ich höre nur mit einem Ohr zu, da ja auf unserer Reisebeschreibung stand, dass wir im Car Park abgeholt werden. Der letzte Abstieg zieht sich noch dahin… viele steinige Stufen. Als wir unten ankamen, sehen wir plötzlich das Ehepaar aus Manchester. Wir rennen die letzten paar Meter auf sie zu… sie schütteln nur den Kopf. Haben die zwei Verrückten immer noch zu viel Energie? Die Frau, dessen Namen wir heute rausgefunden haben, nämlich Avril, hatte super Mühe mit dieser Etappe, da es halt immer wieder hoch und runter ging. Auch das Paar aus Melbourne war da unten anzutreffen. Die beiden Paare konnten gerade zusammen abgeholt werden, da sie am gleichen Ort schlafen werden. Wir setzen uns auf die Mauer des Car Parks und ich frage mich, ob wir am richtigen Ort warten. Ich möchte am liebsten gleich wieder anrufen, aber Sämi meint, wir warten noch ein bisschen. Nach ein paar Minuten fährt dann ein dunkelblauer Kombi mit zwei riesigen sabbernden Monsterhunden im Kofferraum vor. Ein Mann mit grauen Haaren steigt aus und fragt uns, ob wir angerufen hätten. Er hatte eben schon seit einer Weile direkt unterhalb der Treppen gewartet. Da habe ich wohl nicht mehr richtig zugehört gehabt! Bei der zweiten Frage, die er stellt, müssen wir zwei Mal hinhören. „Wo kommts ihr denn her?“, hören wir! Im Kopf muss ich das zuerst irgendwie einordnen. Das war ja Deutsch – Bayrisch um genau zu sein! „Aus Basel“, geben wir bekannt. Er sei aus Heidelberg! Witzig, wie die Welt klein ist! Die beiden riesen Hunde im Kofferraum sabbern mir auf den Kopf, während ich mich auf die Hinterbank fallen lasse. Die Fahrt geht los und er erzählt uns kurz, wie es ihn nach hierher verschlagen hat! Auch er war früher mal „Pauker“, wie er sagte! Nach einer super Dusche (mit festem Strahl… ist hier eher eine Seltenheit), freuen wir uns auf die deutsche Küche von heute Abend! Anmerkung von Sämi: Die Sohlen haben gehalten. Keine Blasen, kein Muskelkater. Wird es auch mal anstrengend? Anmerkung Julia: Blöffsack!

Und wenn man es braucht, hat man es nicht dabei

Distanz: 22.3km + 13.9km

Dauer: 4:29h + 2:39h

Durchschnittsgeschwindigkeit: 5.0 km/h + 5.3 km/h

Temperatur: 22 Grad + 24 Grad

Viehzäune: 53 + 21

Was für ein Tag. Heute war der Tag der zweiten Transferetappe. Das bedeutet mehr als 30 Kilometer in zügigem Tempo. Doch der Morgen startet mit unserer bereits gewöhnlichen Routine. Aufstehen: zuerst Julia, etwa ¾ Stunden später ich. Eincremen mit Sonnencreme (Schutzfaktor 50 – ja ich mach alles, damit ich keinen Sonnenbrand mehr bekomme). Packen des Daypacks. Wobei ich bei der heute anstehenden Strecke darauf achte, dass ich „unnötiges“ Zeugs nicht mitnehme. Sackmesser – nee, will doch kein Picknick machen (kommt nicht mit). Taschenlampe – man kann nie wissen, wie lange man laufen muss (kommt also mit). Grosser Regenschutz – immer gut (kommt mit). Kompass – immer gut (kommt mit). Schnelle Regenpelerine, um sich schnell für ein, zwei Stunden vor Regen zu schützen – nee (kommt also nicht mit). Wasser – viel (immer gut). Ich baue also meine Gewichtslast tatsächlich etwas ab… Julia achtet sich nicht so drauf. Sie lässt einfach die Regenhose für heute mal in der Reisetasche. Sonst bleibt bei ihr alles wie gehabt!

Dann geht es zum Morgenessen. Vom Frühstücksraum haben wir einen traumhaften Ausblick auf Richmond (inkl. Auf die Kirche, die gestern Abend von 20 bis 21 Uhr ununterbrochen geläutet hat – ohne erkennbaren Grund. Hat dazu geführt, dass ich sogar auf BBC nachgeschaut habe, ob etwas Schlimmes passiert sei, z.B. Die Queen gestroben ist). Neben uns sitzen die Australier, die wir bereits am Tag vorher beim Frühstück kennengelernt haben. Sie sind nett – aber eben: Sie nehmen viel Platz ein, besonders im Gespräch). Unsere Essenswünsche, die wir gestern Abend aufgegeben hatten, haben geklappt! Um 08h45 gehen wir auf die Strecke – kurz nach den Australiern. Wir beschliessen, dass wir den Tag mit ein paar extra Kilometern anfangen und laufen um das Schloss, so dass ich noch ein paar schöne Bilder machen kann. Das Schöne heute: der Weg ist zumindest am Anfang mal mit guten, wenn auch nur für Leute die das heilige Gelübte der Schafe abgelegt haben erkennbaren Zeichen ausgestattet. Nicht nur das ist gut, auch dass der Weg heute praktisch keine Höhenmeter zu verzeichnen hat. Ein gutes Omen für uns, um Gas geben zu können. Kurz nachdem wir Richmond verlassen haben, fängt es leicht an zu regnen. Es kommt uns ein Mann entgegen, der uns prophezeit, dass wir heute nass werden. Meine Pelerine habe ich, wie schon erwähnt, nicht mitgenommen – leider! Julia zieht ihre Regenjacke an, ich belasse es bei meinem Tschäppi. Wir haben Glück und der unbekannte Prophet hatte nicht recht: nach etwa einer halben Stunde hörte der Regen auf und sogar die Sonne belgeitete uns auf dem heutigen Weg nach Ingleby Cross. Unser heutiger Weg führte mal durch kleine Wäldchen und immer wieder führte er über Felder. Das ist aber wahrscheinlich nicht so, wie ihr euch das vorstellt. Es ist ein kleiner Pfad vorgefertigt. Links und rechts davon sind verschiedene Getreidesorten oder auch Bohnenpflanzen, die so hoch gewachsen sind, wie Julia gross ist. Mit den Armen nach oben gestreckt, da wir beide im T-Shirt laufen, schlängeln wir uns durch die Felder. Es hat zudem ganz viele kleine schwarze Käfer und sonstige Insekten, die um uns herumfliegen und schwirren. Bei Julia sitzt auch mal eine kleine Raupe in den Haaren, nachdem wir aus einem der vielen Felder rauskommen. Nicht nur wir haben eine Abneigung gegen die Insekten. Auch die Bauern in dieser Gegend verspüren keine Freude, wenn wir Wanderer auf ihren Feldern unterwegs sind. Auf grossen Schilder wird bekannt gegeben, wie man sich verhalten soll, Stacheldrahtzäune und elektrische Zäune markieren teilweise den Weg, sodass wir ja nicht ihre Felder zertrampeln.

Nach ungefähr 15km fängt mein rechter vorderer Fussballen wieder an zu Schmerzen. Ich habe das Gefühl, dass mein Socken nicht ganz glatt an der Haut lag und Falten warf. Daher öffnete ich erneut meinen Wanderschuh und war erstaunt, kein einziges Fältchen am Socken festzustellen. Etwas störte aber doch und schmerzte auf die Dauer. Klar war, dass ich so wahrscheinlich bis am Nachmittag grosse Probleme bekommen würde. Also: Schuh untersuchen. Am Schuh war nichts festzustellen – glatt wie ein Babypopo. Dann widmete ich mich der Sohle. Ich habe extra etwas speziellere Sohlen in meinen Wanderschuhen, die den Fuss nach vorne drücken und so auch bei längeren Touren dafür sorgen, dass der Fuss stabil im Schuh bleibt. Diese Sohlen haben zu diesem Zweck eine Plastikverschalung von der Ferse bis ungefähr dort, wo mein Schmerz begann. Übeltäter also gefunden. Sofort hatte ich einen Plan. Zurückschneiden der Plastikverschalung um ein paar Millimeter mit meinem… oh, verdammt. Da war doch was. Mein Sackmesser war nicht in meinem Daypack… Hilfesuchender Hundeblick an Julia mit der scheuen Frage, ob sie ein Sackmesser dabei hat und es mir leihen könnte. Ihr Antwort: „ob ich ein Sackmesser dabei habe, weiss ich nicht. Aber ich habe eine Schere dabei“. In meinem Kopf hallen noch die Worte wieder: „eine Schere.“ Ok, ich war mega dankbar für die Schere. Ich konnte meine Sohle entsprechend zurückschneiden und so meinem rechten Fuss wenigsten bis am Abend die notwendige Entspannung geben. Aber wer um himmelswillen nimmt in einem Daypack, für 37km Marsch (wandern war das ja heute kaum) eine ausgewachsene, vollfunktionsfähige Schere mit? Am Abend habe ich dann mit meinem Sackmesser, die komplette Verschallung von den Sohlen gelöst. Zudem werde ich ausprobieren, ob ich mit den Sohlen meiner ON-Schuhe, die ich sowieso noch dabei habe, nicht sogar besser fahre (oder bzw. laufe). Anmerkung Julia: Warum ich eine Schere dabei habe? Gute Frage! Ich brauche eine gut funktionierende Schere, um mein Tape zuzuschneiden. Für was brauche ich Tape? Einerseits tape ich ja mein Knie und bin froh, dass ich etwas auf Reserve dabei habe. Andererseits kann Tape sehr nützlich sein. Letztes Jahr auf dem West Highland Way hat sich plötzlich die Sohle meines Wanderschuhs mitten in einem Waldstück gelöst. Ich konnte dann für ein paar Kilometer, die Sohle mit Tape am Schuh festmachen. Tape kann man somit für alles gebrauchen!

Auf dem Weg habe ich immer wieder Zeit meinen Gedanken nachzuhängen. Dann kommen mir sehr oft die verschiedensten Musikstücke in den Sinn. Heute waren das vor allem Stücke aus Opern und aus Disneyfilmen. Warum gerade diese beiden Kategorien kann ich nicht sagen. Ich beschloss auch Julia daran teilzuhaben. Und so kam es, dass ich das Ende der Overture von Rossinis Guillaume Tell (Wilhelm Tell) auf voller Lautstärke auf meinem Natellautsprecher laufen liess. Wer diese nicht kennt, wird sie erkennen, wenn er sie hört. Der beste Soundtrack für das Rennen durch Wiesen und Wälder. Später gab es noch „Heiho“ aus Schneewittchen und die sieben Zwergen und Colonel Hatichs Marsch aus dem Jungelbuch als musikalische Untermalung. Ich hätte gerne noch etwas mehr Musik laufen lassen. Ich habe mir auch extra vor der Abreise eine gute, wasserfeste, neue Powerbank wiedermal zugelegt, weil wir das Natel auch viel zum navigieren brauchen und ich trotzdem auch erreichbar sein muss (will?), aber der Akku nicht mehr so gut ist. Das Problem, dass ich heute aber festgestellt habe: Die beste Powerbank bringt absolut überhaupt nichts, wenn man sein Iphone-Ladekabel nicht in seinem Daypack hat. Also ehrlich: Das nächste Mal schleppe ich mein gesamtes Gepäck täglich mit. Dann habe ich sicher immer das, was ich gerade brauche.

Nach 4 ½ Stunden erreichen wir Dansby Wiske. Eigentlich Tagesziel, wenn man es gemütlich nimmt. Grosse Vorfreude überkommt uns: Endlich Kaffee (für Julia) und ein Sandwich (für mich). Wainwright schrieb in seinem Buch, dass es hier nichts, aber auch gar nichts zu sehen oder erleben gab. Für uns gab es etwas zu erleben, wenn auch anders als gedacht. In diesem wirklich sehr kleinen Städtchen, welches dann auch das letzte Örtchen für die nächsten 14km war, gibt es nur ein Pub. Wir treffen um 13h45 ein – zur besten Mittagszeit also. Doch dieses [hier steht ein Fluchwort] Ding hat geschlossen! GESCHLOSSEN! G E S C H L O S S E N! Wir können es kaum fassen, zumal man drin hört, dass einer Radio hört und telefoniert. Wir setzten uns jedoch trotzdem auf die Bank vor dem Pub und beginnen unsere Vorräte aufzufuttern. Ich wende mich meinen Kitkats zu und Julia probiert ihr Assortiment von verschiedenen Powerrieglen aus. Nach nun 9 Tagen hat Julia so langsam ihre Favoriten erkoren und möchte noch vor der Abreise einen Grosseinkauf tätigen. Unsere lange Pause wird daher um ein Vielfaches kürzer. Und mein Bestand an Kitkats ist faktisch aufgebraucht. Wir beschliessen, dass wir den Weg damit bestrafen, in dem wir im Verlauf des weiteren Nachmittages keine wirkliche Pause mehr machen, sondern das Tempo gar noch ein bisschen weiter Erhöhen, um es dann in Ingleby Cross richtig krachen zu lassen. Als wir in absoluter Höchstform aufliefen, hatten wir teilweise eine Geschwindigkeit von über 6km/h drauf. Wir liefen im Stechschritt unserem Ziel entgegen.

Heute war nicht nur der Tag der „Überquerung von Feldern“, sondern auch der Tag der „Überquerungen von anderem möglichen Zeugs“. Dazu gehört sicher die M1, wobei wir die unterquert haben. Regelmässige Leser von unserem Blog wissen, dass wir ja auf unserer ersten Tranferetappe die M6 als eine von zwei wichtigen Verkehrsadern zwischen England und Schottland überquert haben. Heute war mit der M1 die andere wichtige Achse daran. Dazwischen liegt ja bekannt die Yorkshire Dales, die ich nach meinen Erfahrungen der letzten Woche als gebirig einstufen würde. Plötzlich macht das alles richtig Sinn mit den Wegen durch dieses Land. Wir haben auch zwei Bahnlinien unter, bzw. überquert. Das wäre ja eigentlich nicht sehr erwähnenswert, aber: Die Überquerung einer Bahnlinie findet irgendwo in der tiefen Pampa statt. Man geht über eine Art Steg direkt zu den Geleisen. Dort ist ein Warnschild angebracht, auf dem nichts anderes steht als „luege, lose, laufe“, zwar auf englisch, aber genau so wie wir das im Kindergarten gelernt haben. Dann stehen wir dort, horchen, schauen links, schauen rechts. Keine Züge kommen. Wir laufen über die beiden Geleise auf der anderen Seite wieder eine Art Steg hoch. Wer jetzt sagt, dass da sowieso nie ein Zug kommt, dem sei mitgeteilt, dass wir nach ca. 300 Meter einen richtig grossen Güterzug hinter uns über die Geleise donnern sehen. Zudem haben wir heute so viele Viehzäune durchquert wie noch an keinem andern Tag. Dabei durften wir die ganze Palette von möglichen Querunsmöglichkeiten ausprobieren. Kuhgitter, Einzeltüre, Tore, Gruppentüre und die immer beliebten zwei Trittquerung. Bei der 13. Querung am Nachmittag kommen wir nicht aus dem Staunen raus. Ein Schild warnt uns „Beware of the witch“. Am Haag sind Skelete, Spinnen und Ratten aus Gummi angebracht (die Ratte sagt sogar noch war). Weiter hinten hängt eine kleine Eule noch am Zaun. Wirklich ein wenig gruselig. Sobald man dann den Fuss auf den Holzbalken gesetzt hat, um den Zaun zu überqueren, fing ein Tonband, das in der Eule eingebaut war, an zu singen. Auch ein wenig gruserlig ist die letzte Querung am Tag: Wir dürfen über eine „Hauptstrasse“ gehen. Wobei Hauptstrasse hier mit der Autobahn bei Delsberg gleichzusetzen ist. Die Autos und Lastwagen donnern mit ungefähr 100 Sachen auf jeweils zwei Spuren in beide Richtungen heran. Wir haben Glück: Schnell kommt es zu einer Lücke. Wir rennen bis zur Mitte, wobei unser heutiges Tagesziel in Sichtweite und somit 37km in unseren Knochen stecken. Dann holen wir Luft und rennen ein zweites Mal. Glücklich erreichen wie die andere Seite.

Zu unserem Tagesziel ist es dann nur noch ein kleiner Katzensprung von ein paar hundert Metern. Unsere Gastgeberin war völlig verblüfft, als wir bereits um 16h50 bei ihr vor der Türe stehen. Sie hätte gedacht, dass wir später ankommen. Dennoch werden wir sofort in den Wintergarten geführt. Sie fragt nach Kaffee und Tee und verschwindet dann erst eine Weile, um mit Krügen der beiden Gebräuen und kleinen, halbierten Scones mit Marmalde und Clotted Cream drauf wiederzukommen. Dann gibt sie uns verdankenswerter Weise wieder ein paar Minuten, dass wir gemütlich Teatime haben können. Doch dann geht es zur Sache: Was wollt ihr morgen zum Frühstück (ich: Speck und Eier, Julia: Nichts Gekochtes)? Habt ihr schon einen Tisch im örtlichen Pub reserviert (nein – dann greift sie gerade selbst schnell zum Telefon und macht das für uns)? Wisst ihr schon wie die morgige Tagesetappe aussieht (dann folgt natürlich sofort ein entsprechendes Briefing)? Braucht ihr Sandwiches morgen (wir schlagen das dritte Mal auf dieser Reise dieses Angebot nicht aus)? Dann führt sie uns in den Garten. Dort stehen zwei aneinandergebaute Bungelows. Wirklich sehr süss. Vor allem ein breites Bett!!! Wir sind glücklich, aber merken nun auch, dass wir heute viel mehr eine Runde Sport, als dass wir einen Entspannungspaziergang gemacht haben. Ich auf alle Fälle, spüre meine Beine – keine Blasen, keinen Muskelkater. Aber eben: Wir haben etwas gemacht…

Anmekung Julia: Auch ich merke, dass ich heute eher Sport getrieben habe! Meine linke Wade hat ein bisschen Zug drauf, aber auch keinen Muskelkater. Hingegen geht es meiner Blase am kleinen Zehen viel besser. Das Blasenpflaster hat super geholfen. Ich habe dann noch zwischen dem kleinen und dem zweitkleinsten Zehen ein Stück eines Schwamms geklebt, um den Druck wegzunehmen. Auf der heutigen Etappe hat es funktioniert! Aber das Tape, auch wenn es für alles Mögliche einsetzbar ist, hat es mir ein paar Probleme bereitet. Ich habe es abgenommen, ging duschen. Danach sagte Sämi zu mir: „Du wurdest ja an den Knien voll verstochen!“ „Nein, das ist eine allergische Reaktion auf den Klebstoff des Tapes…!“ Meine Knie müssen es noch 3 Tage erdulden!

Wir hatten erst auf halb 8 Uhr einen Tisch im Pub bekommen. Es hiess, es sei heute Steak Night und somit kommen Leute von nah und fern, um dieses Happening zu erleben. An der Bar werden unsere Getränkewünsche aufgenommen. Danach werden wir zu unserem Tisch geführt. Am Tisch neben uns sitzen alte Bekannte – das ältere Ehepaar aus Manchester! Wir hatten sie schon seit 2 Tagen nicht mehr gesehen! Sie sind heute Morgen schon um 8 Uhr losgelaufen, da sie eine solche Panik vor der langen Wanderung hatten. Andere Wandergruppen hatten gestern noch ein paar Kilometer angehängt, damit sie heute nicht die ganze Etappe laufen müssen, andere wiederum diksutierten schon, ob sie für ein Teilstück den Bus nehmen sollten. Wir haben nämlich auf unserer heutigen Etappe fast niemanden angetroffen. Als wir einmal stehen blieben, da wir uns entscheiden mussten, ob wir nach der App oder nach dem Weg, der im Buch beschrieben ist, laufen sollen, kam die Deutsche den Weg entlang. Sonst sahen wir während den 37 Kilometern keine bekannten Gesichter. Umso freute es uns die aus Manchester heute Abend wiederzusehen.

Vorbereitung für den Endspurt

Distanz: 16.3km

Dauer: 3:48h

Durchschnittsgeschwindigkeit: 4.3 km/h

Temperatur: 18 Grad

Viehzäune: 49

Der letzte Tag des Erholungsdrittel stand heute auf dem Programm. Unsere verschiedenen Quellen haben unterschiedliche Kilometer für die heutige Etappe auf Lager. So sind wir etwas verwirrt, wobei es für uns eigenlich keinen Unterschied mehr macht, ob wir nun 17 oder 24km laufen müssen.

Es gibt aber noch eine kleine Anekdote von gestern Abend, die ich Euch nicht vorenthalten möchte. Mögt ihr Euch noch an den Pfeil erinnern, den Julia und ich gestern auf dem Weg platziert haben? Er hat genau seine Wirkung entfaltet. Wir trafen gestern am Abend noch die aus Manchester. Sie haben uns erzählt, dass sie in Gesprächen vertieft am Pfeil vorbeigelaufen sind und so bemerkt haben, dass sie wieder mal auf ihr GPS schauen müssten. So konnten wir sie davor bewahren, sich zu verlaufen.

Wie immer stehen wir früh auf. Bereits vor 7 Uhr sind wir täglich aus den Federn und machen uns dann für die Etappe fertig, packen unsere Taschen, füllen unsere Wasserflaschen auf. Dann geht es zum Morgenessen. Jeden Tag ist es eine neue Überraschung, wer sonst noch im Speisezimmer sitzt und was genau auf dem Buffet parat steht. Gibt es Nature Joghurt oder nicht? Für Julia ist das eine sehr wichtige Frage! Wir kennen die meisten der anderen Wandergruppen mittlerweile mindestens vom Sehen. Aber mit einigen sind wir bis jetzt noch nicht weiter ins Gespräch gekommen. Das Morgenessen bietet dazu immer wieder neue Möglichkeiten… Heute Morgen treffen wir zuerst auf eine kanadische Familie. Ein Vater, eine Mutter mit einer Tochter, die wir auf Mitte 20 schätzen sind zu dritt unterwegs. Kurz nach uns kommt ein australisches Päärchen an unseren Tisch. Er ist gerade pensioniert und sie arbeitet noch als Hebamme im Spital in Melbourne. Sie setzte sich neben Julia und nahm gleich extrem viel Platz in Anspruch. Wir unterhielten uns dann aber sehr gut mit den beiden.

In der Nacht und am Morgen hat es etwas geregnet und der Himmer ist immer noch sehr stark bewölkt. Der Start in den Tag ist dann auch entsprechend harzig: Nach 300 Meter müssen wir anhalten. Julia montiert ihren selbstgebastelten Blasenschutz für ihren rechten kleinen Zeh wieder ab. Diesen hatte sie aus Schwämmen und Tape selbst konstruiert. Er hat aber noch mehr Druch auf ihren Zeh ausgeübt! Kritische Worte von meiner Seite wurden natürlich ignoriert. Ich nutzte die kurze Pause um die Socken nochmals straff zu ziehen – ich laufe heute (wahrscheinlich das letzte Mal) mit den nervigen Trekkingsocken. Dann geht es los. Wir geben Gas. Und bald müssen wir wieder stoppen. Diesmal bin ich es, der einen Halt verlangt. Der Regenschutz hat sich als überflüssiges Ding herausgestellt, denn Wasser fällt keines mehr vom Himmel. Julia läuft dennoch weiter mit der Regenjacke!

Dann geht es wirklich los! Wir laufen in einem flotten Tempo über Felder und durch Wälder. Die Hochmoore der letzten Tage sind definitiv Vergangenheit. Die Umgebung wandelt sich einmal mehr in wenigen Kilometern. Der nasse Boden macht uns aber zu schaffen. Da es weiterhin viele Steine und Steinstufen auf dem Weg hat (auf einem Abschnitt sind es angeblich 300 an der Zahl, die früher die Nonnen gebaut haben sollen!) rutschen wir immer wieder aus: Wie ein Auto, dessen Reifen keine Haftung finden und durchdrehen. Ich habe gestern zudem mir ein Aussenband am Knöchel etwas gezerrt und das spüre ich ständig beim Laufen.

Dann plötzlich passiert es. Zugegebnermassen unerwartet. Nichts ahnend. Ein Schaf (nicht ein junges, weisses, sondern ein etwas älteres, braunes und völlig durchnässtes) steht nicht wie seine Artgenossen rechtzeitig auf und galoppiert davon, als wir uns nähern. Nein – es bleibt liegen. Und das noch in Reichweite meiner Arme. Bevor ich mein Glück überhaupt richtig fassen kann, strecke ich blitzschnell meine rechte Hand aus. Diese landet auf dem Rücken meines Opfers und ich ziehe mit einem Strich die Hand zurück an meinen Körper – durch das Fell des Schafes. Mission erfüllt. Und ja: es ist wirklich eine sehr, sehr flauschige (wenn auch wetterbedingte), wenn auch nasse Angelegenheit.

Tierisch ging es auch sonst den ganzen Tag zu und her. Neben den obligaten Schafen und Kühen durften wir heute auch viele Hasen (lebendige!) beobachten. Manch einer dieser hoppelnden Zeitgenossen vergnügte sich weniger als 5 Meter vor uns auf der Strasse. Dann gab es auch noch Eichhörnchen und ein Moorhuhn auf dem Weg. Dieses versteckte sich gerade am Rand des Weges im hohen Gras. Wir haben vor ein paar Tagen erfahren, dass demnächst die Jagdsaison für die Moorhühner eröffnet werden soll. Man darf sie schiessen, aber ihnen Fallen stellen ist verboten.

Neben den tierischen Begegnungen hatten wir auf den ganzen 17km keine Weiteren gemacht. Wir haben uns ab und zu gefragt, ob die anderen Wanderer einen anderen Weg aufgrund des Wetters genommen haben oder ob wir wirklich wie ein Ferrari durch die Landschaft preschen?

Bereits vor 13 Uhr erreichen wir das Tagesziel Richmond. Ein wirklich süsses Städtchen. Es ist die grösste Siedlung, die wir auf unserem Coast to Coast Walk durchqueren. Wir arbeiten unsere Routine ab: 1. Einen schönen Tea Room suchen. 2. Einen Kaffee für Julia bestellen (Americano). 3. Sandwiches für beide bestellen. Wir sitzen ein paar Minuten gemütlich und ich lese die News aus der Schweiz. Bevor wir wieder aufbrechen, muss Julia noch aufs WC. Es dauert länger, bis sie zurückkehrt. Sie erzählt mir, dass eine ältere Frau, es nicht schaffte, die WC-Türe zu öffnen! Dann beschliessen wir, das Castle und die Stadt zu erkunden. Es ist mal spannend etwas anderes zu entdecken. Das Castle stammt aus dem 11 Jahrhundert. Entsprechend ist auch nicht mehr viel übrig. Das Tagesselfie entsteht so ausnahmsweise mal nicht beim Wandern. Da wir erst nach 15.30 Uhr einchecken können, suchen wir uns ein weiteres Kaffee aus, in dem wir ein bisschen Verweilen können. Es ist irgendwie komisch. Wir bewegen uns seit 2.5 Stunden um den Marktplatz, aber bekannte Gesichter haben wir fast keine gesehen.

Endlich ist es soweit und wir suchen unser Guesthouse auf. Hier ist es sehr unpersönlich. Die Organisation fürs morgige Frühstück wirkt fast ein bisschen kompliziert. Wir sind gespannt, was uns morgen früh erwarten wird. Es hiess, wir sollen auf einem Zettel ankreuzen, was wir gerne essen würden. Julia schrieb auf, dass sie gerne braunen Toast hätte (auf dem Zettel hiess es eben, es gäbe nur Weissen!). Ich hätte gerne mein Rührei mit Speck (Zur Auswahl stand nur: ein volles englisches Frühstück oder nur eine Eierspeise). Nach einer warmen Dusche ruhe ich mich noch ein bisschen aus, während Julia ihren Zeh begutachtet. Ihr kleiner Zeh existiert praktisch nicht mehr. Er besteht nur noch aus einer Blase! Sie übt sich in Badezimmerchirurgie und klebt dann ein neues Blasenpflaster darum.

Nach unzähligen Besuchen in den verschiedensten Pubs, können wir so langsam den Pubfood nicht mehr sehen und freuen uns, dass es hier im Städtchen eine grössere Auswahl an Restaurants hat. So gehen wir heute italienisch essen und geniessen unsere Pasta als Stärkung für den morgigen Tag.

Morgen kommt die längste Etappe: Fast 40 Kilometer erwarten uns. Von vielen anderen Mitwandern hören wir, dass sie fast „Angst“ vor diesen haben. Ein paar haben heute extra schon ein paar Zusatzkilometer gemacht, dass sie morgen nicht mehr so viel wandern müssen. Wir schauen dem Ganzen ziemlich entspannt entgegen – nichts, dass man nicht schaffen kann.

Der Highway nach Reeth

Distanz: 17.6km

Dauer: 4:27h

Durchschnittsgeschwindigkeit: 3.9 km/h

Temperatur: 19 Grad

Viehzäune: 6

Das zweite Drittel unserer Reise, ist bekanntlich durch kürzere und leichtere Etappen geprägt. Dafür bleibt uns jeweils auch mehr Zeit an den jeweiligen Zielorten zu verweilen. Trotzdem haben wir uns entschieden, dass wir Keld so schnell wie möglich verlassen und weiterziehen wollten. Das einzige Hotel im Ort – wo wir auch übernachteten – schien aus der Zeit zu stammen, als diese Region einer der Schlüssel für die industrielle Revolution war. Auf alle Fälle sind wir froh, als wir gegen 08h45 unser mit Spinnweben besetzte Zimmer wieder in die Obhut der Spinnen übergeben können.

Anmerkung Julia: Die Spinne, die ich nach dem Duschen im Bad angetroffen hatte, lag abends tot neben dem WC. Ich war erstaunt, dass sie so schnell starb. Sämi hat mir gerade vorhin erzählt, dass er sie umgebracht hatte!!!

Die Wanderschuhe holen wir aus dem Heizraum, wo eine alte, stinkende Ölheizung ihren letzten Dienst erweist. Dort treffen wir auch auf die Deutsche, die ihrerseits ihre Wanderschuhe auch holt. Doch stellt sie ernüchternd fest, dass sie auch heute mit nassen Schuhen unterwegs sein werde. Den W-Lan Zugang bezahlen wir mit einer 2£ Spende an die Mountain Rescue der Yorkshire Dales (typischerweise stehen in England überall Spendentöpfe für Royal Lifeboats, Mountain Rescue oder Ähnliches herum). Nachdem es am Abend ein paar wenige Tropfen geregnet hat, ist das Wetter zwar kühler aber trocken.

Wir stehen vor zwei Optionen: 1. die „lower“ Route durch das Swaledale. 2. Die „higher“ Route über das Melbecks Moor. Unser kleines Reisebüchlein prophezeit, dass die „lower“ Route nicht wirklich einfacher sei. So entschliessen wir uns, unserem Grundsatz treu zu bleiben und möglichst der Originalstrecke zu folgen. Wir betreten den „High“way. Da die Etappe recht kurz ist, scheinen die meisten Coasttocoaster später aufzubrechen. Nur Mark steht schon vor seinem Bed&Breakfast und verabschiedet sich von uns. Ja, seine „Boots“ liessen die Weiterwanderung einfach nicht zu. Etwas vor uns sind noch die beiden aus Manchester. Nach ihren harten Erfahrungen der letzten Tage, wollen sie sich möglichst viel Zeit für jede Etappe nehmen. So übernehmen Julia und ich die Führung der heutigen Karawane. An einer besonders kniffligen Stelle, wo wiedermal von einem Wegweiser oder irgendwelchem Hinweis abgesehen ist, dass der Weg dort eine wichtige Kreuzung beinhaltet, beschliessen wir das Heft selbst in die Hand zu nehmen. Kurzerhand machen wir auf der Schotterpiste, bei der ganz klein und schwierig der Coast to Coast Way wegführt, einen grossen Pfeil mit Steinen auf die Strasse. Wir sind halt gute Wegführer!

Der Highway entwickelt sich sehr schnell zu einem „Highway des Todes“. Alle paar hundert Meter stossen wir auf tote Kanichen in verschiedenen Verwesungsstadien. Es ist fast schon ein bisschen beängstigend. Wir sehen aber auch ein paar (noch) lebende. Meistens springen sie weniger Meter vor uns panisch über den Weg. Dieser ist auch heute angenehm. Ein Abschnitt wurde sogar erst im letzten Monat neu gemacht. So bleiben uns heute Moore und Sümpfe erspart. Anmerkung Julia: Ich fragte mich, warum so viele Kaninchen hier den Tod finden. Auf den breiteren Wegen wurden sie möglicherweise überfahren, sonst weiss ich nicht, ob andere Tiere sie ausnehmen und die Überreste dann einfach an Ort und Stelle lassen. Zum Weg: Meistens war er heute sehr angenehm. Es gab aber doch ein paar Krakselstellen, bei denen ich mich sehr konzentrieren musste.

Das Highlight der High Route sind die Bleiminen. Es ist wirklich diesbezüglich ein beeindruckendes Gebiet: Offenbar haben bereits die Römer hier nach Blei gesucht. Und während der industriellen Revolution war der hiesige Bleiabbau auf seinem Höhepunkt und für die Industrialisierung von Grossbritannien von zentraler Bedeutung. Heute zerfallen die alten Minen und Schmelzen. Es ist schwer vorstellbar, wie die Leute hier hinten gearbeitet und gelebt haben – wie ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen sein mussten… Heute zeugen Ruinen noch von diesen Zeiten. Zudem sieht es in diesen Gebieten aus, wie auf einem eigenen Mond. Bereits aber kurz vor zwei ändert sich die Umgebung. Die Moore weichen grünen Wiesen. Wir steigen ins Tal nach Reeth ab. Dort passiert es. Eine kleine Unachtsamkeit und wir kommen von unserem eigentlichen Weg ab. Stattdessen landen wir auf einem Pfad, der von Brennesseln und Brombeersträuchern überwuchert ist. So schnell kann es gehen (und der Preis wird sofort bezahlt). Wir loben uns, dass wir jeden Tag lange Hosen anhaben (was keine Selbstverständlichkeit ist: die meisten Leute bevorzugen hier kurze Hosen).

Wir entdecken Reeth. Viele kleine, süsse Steinhäuser umsäumenen eine grosszügige Grünfläche. Wir entschliessen uns, dass wir ein paar Karten schreiben und in einem Tearoom unser obligatorisches Sandwich und Julias Kaffee zu uns nehmen. Dabei donnern mit Blaulicht und Sirenen die Fahrzeuge der Mountain Rescue an uns vorbei, kurz gefolgt von einer Ambulanz. Sie gehen auf den Weg in Richtung Moor. Wir hoffen, dass niemand von unseren Wanderfreunden ein Problem bekommen hat.

Eines der zentralen Learnings der letzten zwei Tage ist die absolute Wichtigkeit der Socken. Wir haben beide den Typ unserer Socken gewechselt. Julia trägt Armeesocken (welche ich normalerweise präferiere) und ich trage so super moderne Trekkingsocken (was normalerweise eher an Julias Käsedingern zu finden ist). Sie hat nach wenigen Kilometern Schmerzen an den vorderen Fussballen. Es brennt. Genau das, war mein Problem. Dafür musste ich heute einen aktiven Kampf gegen mögliche Blasen an den Füssen führen. Mehrmals öffne ich die Schuhe und ziehe die Socken straff oder verändere ihre Position, weil ich immer wieder den Verdacht hatte, dass sich eine Blase bildet. Insgeheim wundern wir uns über Leute (wie die Deutsche), die den ganzen Weg nur mit einem Paar Socken laufen. Anmerkung Julia: Während Sämi sich die Socken in die richtige Position zupfen musste, habe ich mir Tape unter die Ballen geklebt, sodass es keine weitere Reibung geben kann. Wir beide behielten die Oberhand im Kampf gegen die Blasen! Ich werde ganz sicher wieder zu meinen Trekkingsocken zurückkehren.

Die letzten zwei Tage waren gut zum Erholen. Zwar haben wir (noch) keinen Muskelkater und nur Julia hat eine kleine Blase unter dem rechten kleinen Zeh. Wir sind aber durchaus müde. Und so nutzen wir unser frühes Ankommen, um uns auch wieder richtig zu erholen. Die Hälfte des Weges ist nun geschafft. Das letzte Drittel, in dem die längsten Etappen folgen werden, steht uns aber noch bevor.

Gipfeltreffen in Keld

Distanz: 20.18km

Dauer: 5:00h

Durchschnittsgeschwindigkeit: 4.0 km/h

Temperatur: 21 Grad

Viehzäune: 16

Unsere heutige Etappe ist ein 20 km langer Weg, der von moorigen Landschaften, Schafwiesen, einem vorzüglichen Sandwich, einigen interessanten Begegnungen und auch nassen Füssen geprägt ist. Aber alles der Reihe nach…

Wow, in was für einem B&B wir übernachteten! Chrissie und Joe, ein Ehepaar in den 50ern, haben sich das B&B zu einer neuen Lebensaufgabe gemacht, nachdem ihre Kinder flügge geworden sind. Chrissie war nämlich früher Flight Attendant und dann im Interior Design tätig und Joe war Busfahrer. Ihr B&B ist so liebevoll eingerichtet. Jeder Wunsch wurde uns von den Lippen gelesen. Während wir frühstückten, kam Joe immer wieder ins Zimmer, fragte uns aus, scherzte mit uns und berichtete dann alles Chrissie, die in der Küche stand. Auf den Weg bekamen wir ein vorzügliches Sandwich und ein kleines Päckchen von Joe, das wir erst auf dem Weg öffnen durften. Ich war natürlich sehr neugierig, was darin sein könnte – vier Gummibärchen hatte er uns mit auf den Weg gegeben! Wir möchten unbedingt wieder bei ihnen vorbeigehen. Ja, Sämi und ich spielen mit dem Gedanken, im Frühling einen kleinen Roadtrip von Manchester nach Glasgow oder Edinburgh zu machen. Bis jetzt möchten wir unbedingt einen Tag in Grasmere und eben in Kirkby Stephan verbringen.

Kurz vor 9 Uhr brechen wir auf. Chrissie und Joe winken uns mit einem Taschentuch vom Fenster aus zu. Ich verspreche Chrissie, ich werde einen der Nine Standards für sie umarmen, denn unser heutiger Weg führt an diesen 9 mysthischen Steinhaufen vorbei. Zuerst aber führt er uns durchs Dorf, bevor er dann wieder ins Grüne abbiegt. Gerade vor uns läuft das Ehepaar aus Manchester. Sie sind beide wieder voll dabei! Wir überholen sie und machen uns an den 7km langen Aufstieg zu den Nine Standards. Wie gesagt: Das sind 9 Steinhaufen! Man weiss nicht, wann und warum diese gebaut sind. Während des Aufstieges trafen wir auch auf Mark. Er lag – wieder mit hochrotem Kopf – am Wegrand und war kaum fähig mir zu antworten. Als wir weiterliefen, überholte uns plötzlich ein dunkelblauer Mercedes. Sämi erkannte darin die anderen Gäste des B&B’s von heute Morgen. Wahrhaftig! Als wir fast oben ankamen, trafen wir auf diese 4 Amerikaner. Es sind 2 Päärchen, die sich vor Jahren auf diesem Weg kennengelernt hatten. Das eine Päärchen hatte den Weg noch nicht fertig gelaufen, somit machen sie ihn nun zusammen fertig. Sämi fachsimpelte dann kurz mit dem einen Ehemann, der für die Air Force arbeitet und beide sehr kartenfanatisch sind! Nachdem ich einen der Nine Standards umarmte, zogen wir weiter. Anmerkung von Sämi: Sie hat ihn sogar abgeknutscht!!

Der Weg führte, wie schon gesagt, durch mooriges Gebiet – richtig moorig. In unseren ersten Ferien vor 8 Jahren, waren Sämi und ich in Schottland. Auf der Isle of Skye haben wir eine unserer ersten Wanderungen gemacht und dort habe ich bereits die Bekanntschaft mit moorigen Gebieten gemacht. Ich bin damals bis zum Knie versunken. So schlimm war es heute aber nicht… Sämi lief voraus, ich hinter her. Ich wusste, ich müsste einen Sprung nehmen. Leider konnte ich nicht mehr abspringen, denn mein Schuh sass schon fest im Sumpf. Sämi zog mich wieder raus. Ich meinte, „ohne deine Hilfe, hätte ein Schaf mich retten müssen.“ Ich lief von da an voraus. Das führte natürlich zu einem weiteren Problem: Ich führte uns wieder direkt in ein anderes sumpfiges Gebiet… Dieses Mal traf es uns beide! Sämi übernahm von dann an die Navigation! Anmerkung von Sämi: wegen ihrer „perfekten“ Navigation bin ich dann innert drei Minuten gerade selbst bis zum Unterschenkel im Sumpf steckengeblieben. Ich weiss nicht, ob ihr das schon mal erlebt habt: Nass, stinkig und erdig…

Die Landschaft ist auch heute sehr eindrücklich. Von den Nine Standards hat man wieder einmal einen fantastischen Blick. Die ganze Gegend hier in den Yorkshire Dales scheint irgendwie so zu sein, wie die Erde noch nie gebraucht wurde. Mit Ausnahme der Schafe. Leider gibt es eine starke Bodenerosion. Aber die Schafe lässt man trotzdem…

Plötzlich im nirgendwo stossen wir auf eine Teerstrasse. Auf dieser herrschte viel Verkehr. Sogar die Polizei patroullierte. Wir haben uns gefragt, was sie suchen. Anscheinend suchten sie, ob es illegale Vogelfallen gibt. Wir machen uns zum Zeitvertreib einen Spass und kommunizieren mit einigen Schafen, bis wir zu einer Farm kommen, die in der Mitte des Nirgendwo steht. Die findigen Leute, die hier leben, bieten (müden) Wanderern Tee und vor allem Kaffee an. Ein absolutes Muss für uns (vor allem für Julia – Stichwort Kaffee). Wir wissen nicht, wieviel Generationen dort unter einem Dach leben. Unsere bestellten Getränke werden auf jeden Fall von einem Mädchen gebracht. Das Jüngste setzte sich gleich neben Sämi und belagerte ihn. Sie wollte wissen, wohin wir weiterziehen. Sämi zeigte es ihr auf der Karte. Sie konnte aber noch gar nicht lesen und wollte immer wieder, dass es Sämi ihr zeigte. Anmerkung von Sämi: Schliesslich will sie sogar mir die Karte wegnehmen – Räuberin!! In viel zu grossen Gummistiefeln stolperte sie dann davon und hüpfte mit einer anderen Schwester den Weg entlang. Unsere Pause dauerte nicht lange. Wir wollten zeitig in Keld ankommen und hatten noch eine gute Stunde, bis zum etwa eine halbe Meile entfernten Keld.

Hinter der Rezeption was zugleich die Bar war, war ein Mann am Werkeln. Eine Familie bestellte Getränke und Snacks, während wir auf den Zimmerschlüssel warteten. Endlich hatte er nun Zeit, uns das Zimmer und den Trockenraum für die Schuhe zu zeigen. Wir genossen es, endlich einmal mehr Zeit zu haben, um zu duschen und uns ein bisschen zu erholen, bis das Abendessen dann rief. Anmerkung von Sämi: Ich habe dann sogar ein spätes Mittagsschläfchen von einer Stunde hingelegt.

Im Restaurant assen alle, die die Route laufen und heute in Keld sind. Denn es ist hier der einzige Futternapf im Umkreis von 5 Meilen. Eine Art Gipfeltreffen. Viele haben von nun an den gleichen Laufplan. Man wird sich also mit grosser Wahrscheinlichkeit von nun an jeden Abend irgendwie treffen. Spannende Gespräche laufen und stehen noch an. Das Ehepaar aus Manchester ass gleich am Tisch neben uns. Eine Deutsche, die mir schone in paar Mal aufgefallen war, da sie soooooooo dünne Beine hat, ass gleich nebenan. Wir haben aber erst heute Abend erfahren, dass sie Deutsche ist. Ein anderes amerikanisches Ehepaar hat sich auch hier eingefunden. Für sie ist es die erste Europareise. Und zu guter Letzt habe wir wieder Mark getroffen. Er lebt noch! Er hat aber für Morgen seine Wanderung gestrichen und gibt auf. Seine Füsse schmerzen zu fest, dass für ihn der Weg zu Ende ist. Mit einem Glas Gin hat er vorhin seinen Abschied verkündet!

Der heutige Tag war auch für uns eine Art Sonntag. Der Weg war nicht mehr so hart, wie in den letzten Tagen. Das ist gut so, denn er fordert von uns viel Kraft. Das merken wir auch beim Laufen. Wir waren heute oft mit uns selbst beschäftigt. Jetzt haben wir Halbzeit. Es ist immer noch eine extrem spannende, schöne und auch lernreiche Reise.

P.S. Wenn ihr Keld auf einer Karte suchen wollt: es ist das ganz kleine Ding, bestehend aus 5 Steinhäusern. Mehr nicht…

Fast Ferrari fahren über die Felder

(Werte nach Sämi)

Distanz: 12.9km + 19.65km

Dauer: 2:47h + 4:28h

Durchschnittsgeschwindigkeit: 4.6 km/h + 4.4 km/h

Temperatur: 20 Grad + 26 Grad

Viehzäune überquert: 48!!!!!!

Diese Reise ist sehr stark von drei Elementen geprägt: Als Erstes gilt es da sicher die Menschen zu erwähnen, die uns begegnen – sei das für kurz oder etwas länger, sei das als Mitwanderer, andere Touristen oder unsere Gastgeber. Das zweite Element ist die Natur: Ihre Gestalt, die sich innerhalb von wenigen Kilometern völlig verändern kann, das Wetter (das bis jetzt zum Glück kein bisschen englisch ist) und der Weg selbst. Gerade das Letztere entscheidet darüber, ob wir bis max. 6km/h oder eher 1.5 km/h laufen können.Für uns liegen zwischen diesen zwei Zahlen riesige Welten. Das letzte Element sind wir selbst: Wie gehen wir miteinander um, wenn wir über 7 Stunden zusammen Seite an Seite laufen, wie gehen wir mit uns selbst um, wie gehen wir mit der Zeit um. Dabei ist interessant: Wir haben mittlerweile die grösste Mühe den richtigen Wochentag zu nennen – auf die Frage, ob heute Samstag, Sonntag oder Ostern ist, müssen wir jeweils sehr fest miteinader diskutieren und dabei fast den Publikumsjoker einsetzen. An Tagen wie heute, steht für uns vor allem das dritte Element im Vordergrund, denn heute war das, was wir Transferetappe im Vorfeld genannt haben: über 30km durch eine Landschaft, die sich über Stunden nicht verändert und dabei nur wenigen Menschen begegnet.

Doch der Tag beginnt mit einem Menschen. Nennen wir sie Margret und sie ist ihres Zeichen die Besitzerin und Gastgeberin des B&B von Shap. Sie ist eine ältere, rundliche Dame, die sich nicht mehr so gut bewegen kann. Am Vorabend haben wir mit ihr vereinbart, dass wir um 7h30 frühstücken möchten. Um 7h25 sind wir unten. Das war zu früh für Margret. Sie schickt uns sofort in die Lounge. Sie würde uns dann schon rufen, wenn alles hergerichtet sei… Wir sitzen dort, ich blättere in Büchern über die Royals. Sämi nimmt ein vergilbtes Buch über den Coast to Coast Way in die Hand (die heutige Etappe sei langweillig…). An den Wänden hängen einige Bilder und Teller sonst ist ein ganzer Krimskrams an Sachen aufgestellt. Ich kam mir wirklich vor wie in Grossmutters Haus. Endlich durften wir nun den Raum wechseln und uns an den Tisch setzen. Auf den Tischen waren Kärtlein aufgestelt, wo drauf das Breakfast Starters aufgeführt waren. Mit uns waren noch ein Vater und eine Tochter aus London, die für ein paar Tage ein paar Etappen bestreiten und Mark, der heute und morgen eine Etappe läuft. Margret war mit uns 5 Nasen schlichtweg überfordert. Sie hat Sämi dann 3 mal gefragt, wie er gerne sein Ei hätte. Ich musste aus einer Liste aussuchen, mit was ich beginnen möchte. Zuerst gabs Müsli, die Früchte kamen im 2. Gang. Zum Müsli bekam ich aber keinen Joghurt. Der wäre für die Früchte gedacht gewesen. Müsli isst man nach Auffassung Margrets nur mit Milch. Beim Aufstehen vom Tisch sind uns dann noch die kleinen Papier Union Jacks auf jedem Tisch aufgefallen. Britischer geht es kaum. Ich war dann froh, konnten wir ihr Tschüss sagen. Gestern Abend haben wir im Pub nochmals Bruder Klaus getroffen. Er wird heute Nacht bei Margret schlafen. In Gedanken haben wir ihm viel Spass gewünscht, mit der eigentlich liebenwürdigen, aber auf ihre Art und Weise „too much“ Margret.

Kurz vor 9 Uhr laufen wir los. Da wir ja am Ende des Dorfes waren, mussten wir wieder ein Stück zurück ins Dorf. So zu sagen einen gratis Zusatzkilometer für den Start. Dort trafen wir gleich auf ein Ehepaar, das schon seit 26 Jahren verheiratet ist und den Weg nun zum 2. Mal läuft. Letztes Jahr haben sie es zum Hochzeitsjubiläum gemacht. Dieses Mal tragen sie aber ihr ganzes Gepäck mit sich. Wir überholen sie schnell. Unser Weg führt über die Autobahn M6. Diese führt unter anderem nach Schottland und ist einer der beiden wichtigstgen Verkehrsadern zwischen dem Norden und Süden des Landes. Das hatte mir Sämi natürlich berichtet! Dann verlief der Weg über Wiesen und vertrocknete Moorlandschaften. Anmerkung von Sämi: Mich hat das ganze sehr stark an die USA erinnert. Unendliche Weiten in sanften Hügeln verpackt. Anmerkung Julia: Ich fand die Weiten passten nicht in die USA, da es hier viel zu grün ist.

In der Ferne sahen wir immer den Vater und die Tochter aus London. Kurz vor Orton, ein Dorf, das wir nach 12 km erreichten, sass Mark im Gras – im Schatten eines alten Stalls zwischen Kuhmist und Gatter. Er war völlig erschöpft. Der Übergang zwischen den roten Haaren bis zum Kopf sind nur noch schwer erkennbar. Er nahm dann eine Abkürzung um nach Kirby Stephan zu kommen. Wir haben ihn jetzt heute Abend nicht gesehen, obwohl er uns versprochen hatte, dass wir uns im örtlichen Pub auf ein Pint Beer treffen würden. Hoffentlich hat er die Reise gepackt! Der Vater und die Tochter kehrten wie wir im ersten Kaffee in Orton ein. Sie redeten aber kaum mit uns, nachdem die Tochter uns gestern ausgefragt hatte und der Vater sowieso jeden in Grund und Boden redet. Dafür hat die Tochter im Kaffee die Schuhe ausgezogen und zog ein Gesicht, wie sieben Tage Regenwetter. Offensichtlich ist auch hier jemand bereits an seine Grenzen gekommen. Sämi und ich genossen unsere Mittagspause mit einem… Sandwich. Wir mussten uns stärken, da noch weitere 20 km auf dem Plan standen.

Weiter ging unsere Reise wieder über Wiesen, Felder und Moorlandschaften. Die Natur veränderte sich auf der ganzen heutigen Etappe nicht. Es ist aber eine eigene, sehr spannende Gegend: geprägt von sanften Hügeln mit vielen landwirtschaftlich genutzen Feldern. Das klare Wetter gibt auch den Blick auf eine Landschaft frei, die noch wenig ausser Landwirtschaft kennt. Die Landwirtschaftsflächen werden immer wieder durch längere, unter Naturschutz stehende Moorlandschaften abgelöst. Diese sind im Moment sehr trocken und haben uns das Leben ausgesprochen einfach gemacht. Es ist schwer vorstellbar, was das für eine Schlammschlacht bei nassem Wetter heute gegeben hätte.

Landwirtschaftlich steht die Schafszucht offensichtlich im Zentrum. Sämi war von den Schafen ganz hingerissen. Er wollte unbedingt eines streicheln und einfangen. Natürlich ist es ihm bis jetzt nicht gelungen. Wer weiss, ob er es bis am Ende unserer Reise einmal schafft? Anmerkung von Sämi: Sie sind wirklich super süss und es gibt sie in allen Variationen und Formen: Klein, gross, weiss, braun, schwarz, flauschig, zottelig, frisch geschoren, halb geschoren, frisch geduscht, nie geduscht, mit komischen Kopfformen, mit Hörnen, ruhige, liegende, schlafende, kämpfende… Wirklich faszinierend. Ausser wenn eine ganze Herde los MÄHHHHHD… Das ist dann ziemlich laut.

Ein paar Mal mussten wir aber auch wieder durch eine Kuhherde hindurch, was wir beide nicht immer so prickelnd empfanden. Eine Kuh(!) mit Nasenring starrte uns an, andere versperrten uns den Weg, wieder andere kamen auf uns zu, während der Bulle etwas erhöht über seine Herde thronte und uns verdankenswerterweise passieren lässt.. Aber zum Glück vernahmen wir aus ihren Reihen kein Schnauben mehr. Daneben durften wir heute auch durch kleine Pony- und Pferdeherden hindurchgehen. Immer durch ein Tor, eine Tür oder eine kleine Leiter voneinander abgetrennt… Allgemein hatte man heute den etwas übertriebenen Eindruck, dass man die Steine der letzten Tage heute einfach durch Kuh- und Schafsmist vertauscht hatte.

Die letzten Kilometer zogen sich dahin. Sämi wurde stiller. Ich merkte, ihm verging die Lust und er wollte einfach ankommen. Hohe Hecken säumten den Weg der ins Dörfchen führte. Zum Glück fanden wir heute sehr schnell unser B&B. Chrissie und Joe empfingen uns überschwänglich. Wir aber hatten zuerst einmal das Verlangen nach Ruhe und einer Dusche! Wir sind völlig fasziniert von den Details, die wir in unserem Zimmer vorfinden. Alles ist äusserst liebevoll beschriftet.

Heute konnten wir endlich wieder einmal Gas geben. Die Bodenbeschaffenheit liess es zu, dass wir oft 5km/h laufen konnten und so in einer guten Zeit am Ziel ankamen. Dazu kam, dass uns auch niemand auf den ganzen 2 Etappen überholte. Wir düsten über die Wiesen und Felder bei strahlendem Sonnenschein. Es war um Welten nicht so heiss wie in der Schweiz und zum Glück regnete es nicht!!! Aber dennoch:Die wenigen Menschen denen wir heute begegnet sind, waren der fixen Überzeugung, dass heute ein ausgesprochen heisser Tag war.

Joe reservierte uns in einem super feinen Restaurant einen Tisch. Als wir auf dem Heimweg waren, habe ich durchs Fenster des Pubs die ältere Frau von dem Ehepaar aus Manchester erblickt. Ich bin richtig froh, dass sie nun auch hier sind. Wir wissen noch nicht, was sie in den letzten beiden Tagen erlebten. Wir nehemen aber an, dass wir sie morgen irgendwo auf dem Weg erblicken werden.

Wie verbringen Sämi und ich eigentlich so viel Zeit Seite an Seite? Ab und zu hängt jeder seinen Gedanken nach, ist mit der Bodenbeschaffenheit oder mit sich selber beschäftigt. Da der Weg heute nicht zu viel Konzentration von uns abverlangte, hatten wir auch mal Zeit einfach zu plaudern, Zukunftsideen zu spinnen, neue Ferienpläne zu schmieden… Wir redeten natürlich auch über den Weg, den wir am Bestreiten sind und sind einander unendlich dankbar, dass wir dies gemeinsam erleben und daran wachsen können. Unser Problem ist hier, dass wir extrem Mühe haben unsere Körper nach einem Wandertag wieder runterfahren zu können. Das wird dann wohl erst nach dem letzten Wandertag funktionieren…

Runter geht es immer – irgendwie

(Werte nach Sämi)

Distanz: 26.06 km

Dauer: 7h31

Durchschnittsgeschwindigkeit: 3.5 km/h

Temperatur: 21 Grad

Viehzäune überquert: 25

Es ist manchmal doch seltsam: Wir beobachten Leute, die wir am Abend für nicht erwähnenswert einstufen. Und dann geschehen plötzlich lustige Zufälle, die wir Euch dann etwas länger berichten müssen. So auch die Sache, dass uns seit St Bees ein anderer Schweizer auf den Fersen ist (und wir es bis vor wenigen Stunden nicht wussten). Aber wie immer der Reihe nach. Heute war für uns eine Premiere: Wir schlugen das Sandwich für den Weg nicht aus. Der Grund lag nicht nur in der unglaublichen Liebeswürdigkeit unserer Gastgebern. Sondern auch darin, weil wir heute über die ganze Strecke hinweg nicht an einem Pub oder ähnlichem vorbeikommen würden. Unsere Gastgeber hatten in einem Zimmer eine Art Bar mit Bier, Gin und vielen kleinen Notwendigkeiten für diesen Weg – Paracetamol, Zahnbürsten, Wasser, Schokoriegel usw. Daneben bereiteten sie alles selbst aus lokalen Produkten zu. Die Gänge waren gepflastert mit selbstgemachter Marmalade. So konnten wir die Sandwiches gar nicht ausschlagen. Wir würden später noch sehen, dass das eine sehr kluge Entscheidung war. Im Morgenessraum waren ein paar Leute bereits am Frühstücken. Ein Paar aus Cambridge und Holländer (die gibt es hier wirklich in einer Masse, dass man es kaum glauben kann). Anmerkung Julia: Sämi ass wie üblich sein Rührei mit Speck und ich ein Müsli und Toast. Dieses Mal wurden aber ganz wenige Toast auf den Tisch gestellt. Deswegen bestellte ich mir nochmals eine Portion. Sämi wurde dabei ganz zappelig, da es eine Weile ging, bis die Toast gebracht wurden und natürlich bis ich sie gegessen hatte. Aber ich musste mich ja schliesslich für die anstehende Etappe stärken.

Wir waren nicht die schnellsten heute Morgen und so liefen wir erst um 09.30 ab. Das Tagesziel – Shap – 24km vor uns. Der höchste Punkt der gesamten traditionellen Route – den 778 Meter hohen Kidsty Pike – 8km vor uns. Uns so durften wir gerade als Erstes am Morgen Höhenmeter fressen. Auf dem Weg geschah wieder einmal eine lustige Annekdote: Julia lief ein paar Meter vor mir. Plötzlich meinte sie, dass sich im Farm direkt neben ihr etwas bewegt hat. Lakonisch bemerke ich, dass das Farn sicher gleich los blöken würde. Kaum bin ich daran vorbei, hören wir das von mir angekündete MÄÄÄHHHH! Ein weisser Kopf streckt sich in die Höhe und schaut aus dem Farn….

Als wir ein erstes Hochplateau erreichten, war da auf einmal wieder der einsame Wanderer. Wir hatten ihn schon in Ennerdale Bridge gesehen. Abends hatte er am Tisch hinter uns gegessen und morgens haben wir gesehen, dass er dort im Garten des Pubs sein Zelt aufgebaut hatte. Wir gaben ihm damals den Übernamen Bruder Klaus, weil er (zwar jünger als wir) den Eindruck machte, als sei er auf der Pilgerreise nach Santiago – hätte sich aber hierher verlaufen. Bruder Klaus sprach uns heute an – auf Berndeutsch!!! Er ist locker unterwegs – hat einfach ein paar Tage nach uns einen Rückflug gebucht, keine B&Bs vorreserviert, hat für Notfälle das Zelt dabei, hat keinen festen Laufplan. An dieser Stelle mach ich eine geistige Notiz an mich selbst: Nicht nur wir beobachten – wir werden auch beobachtet (Notiz 2: Mittel gegen Verfolgungswahn bestellen).

Der Weg verlangt einiges ab. Die letzten Tage haben ehrlicherweise schon etwas Kraft gekostet. Durch den Gedanken beseelt, dass dies der letzte wirklich harte Peak auf der ganzen Tour sein wird , reissen wir uns aber zusammen und erreichen um 12:09 Uhr den Gipfel. 8km geschafft. Zwei Holländer sind oben und lassen ihre Drohne fliegen um ein paar Videoaufnahmen zu machen – ich finde es schon noch cool, Julia meint: „völlig unnötig!“ Wir beschliessen eine Rast einzulegen. Der Wind hatte die letzten Stunden uns hart und kalt angeblasen. Nun suchen wir auf einem exponierten Hügelgipfel etwas Schutz und essen die ersten Sandwiches. Zwei weitere Holländer treffen ein. Es ist spannend: Der Weg wird von Engländern und Holländer stark begangen. Andere Nationen treffen wir nur sporadisch an. Die Aussicht ist fantastisch: Hinter uns liegen die Hügel des Lake District. Vor uns die grosse Ebene, die es morgen zu durchqueren gilt. In der Ferne zeichnen sich die Hügel der Yorkshire Dales ab. Unter uns: grüne Wiesen und Seen. Ein obligates Gipfelselfie steht auf dem Programm.

Der Abstieg steht an. Innerhalb von 2km verlieren wir fast alle gewonnen Höhenmeter wieder. Die Erfahrungen der letzten Tage zahlen sich aber aus. Wir erwarten Steine, Felsen und Krakselstellen. Und wir werden nicht enttäuscht. Es ist wirklich ein harter Kampf nach unten. Wir schlagen unsere Füsse an. Und unsere Gelänke werden gefordert. Doch auf den letzten 200 Meter treffen wir plötzlich auf grüne Wiesen, die wir wie junge Rehe runterspringen (Ja, Julia rennt plötzlich einen Berg hinab und ich bin ausnahmsweise mal die Stimme der Vernunft). Die beiden aus Cambridge, die heute Morgen bestimmt eine halbe Stunde vor uns gestartet sind, holen wir dabei ein.

Nun freuen wir uns auf einen entspannten Spaziergang von 8km dem See entlang. Doch irgendwie unterschätzen wir im Moment das Terrain immer. Es werden äusserst anspruchvolle 8km – sehr vergleichbar mit der Etappe des West Highlandways entlang des Loch Lomonds. Überhaupt werden wir auf den ersten 16km immer wieder an Schottland erinnert. Die Pflanzenwelt besteht aus Disteln, Löwenzahn, Farnen und den violetten namenlosen Dingern, die überall den Weg säumen. Anmerkung Julia: Ich bewundere immer wieder die vielen Blumen, die mich ein Stückchen auf dem Weg begleiten. Vor allem beim Löwenzahn muss ich immer wieder Lächeln, da ich letzten Monat eine Abschlussprüfung im Fach Zeichnen über den Löwenzahn gemacht habe.

Der Weg fordert die ersten Opfer bei uns: Julias Knie zicken etwas herum, bei mir gibt es ein Loch im seitlichen Schutzleder des Wanderschuhes. Wir begegnen keiner Menschenseele mehr. Die Natur wandelt sich unheimlich rasch und wir dürfen einem kleinen Fuss durch grüne Wälder folgen. Seit Tagen haben wir keine Beschilderung des Coast to Coast Ways mehr gesehen. Jetzt gibt es tatsächlich ab und zu einen Wegweiser. Meist steht schlicht C2C drauf – wie ein geheim Code, der nur Eingeweihte nach einem Schweigegelübte kennen. Wir überqueren Felder und Wiesen, alte Steinbrücken und viele Zäune, durch Schafsherden und Kuhgruppen. Anmerkung Julia: Plötzlich führte eben unser Weg quer über eine Wiese, die voll von Schafen und Kühen war. Wir mussten ganz nah an den Kühen vorbei gehen. Mir war da nicht mehr so wohl. Sämi meinte dann: „Komm, schliess zu mir auf! Wir müssen geschlossen an der Herde vorbei.“ Ich versuchte immer im gleichen Rhytmus zu laufen. Auf der Höhe der Kühe, hörte ich ein Schnauben. Mir kam die Situation des Yellow Stones in den Sinn, als wir ziemlich nahe vor einem Bison-Bullen standen und er uns anschnaubte und wir ziemlich schnell den Rüchzug antraten.

Und irgendwann erreichen wir Shap. Wir sind froh. Die letzten Kilometer waren doch hart und haben vor allem geistig einen höheren Tribut als Gedacht gefordert. Das schwierige Terrain entlang des Sees war nicht ohne. Direkt am Eingang zu Shap (was überigens ein extrem langgezogenes Bauerndorf, mit zwei Hotels, einem Pub, zwei Stores, einem Feuerwehrauto (dieses hat Julia nicht gesehen!), einer Schule ist) gehen wir in einen kleinen Laden. Anschliessend stellen wir zu unserem Entsetzen fest, dass unser B&B ganz am anderen Ende des Dorfes liegt. So kommen wir in den Genuss von fast 2km Extralaufen. Julias Gesicht drückt nicht gerade viel Freude aus. Vielmehr sieht es so aus, als wäre ein Säbelzahntiger mit einem Hummer gekreuzt worden: Hoch rot und wirklich furchteinflössend. Anmerkung Julia: Ich dachte, ich wäre jetzt dann gleich im Zimmer und unter der Dusche. Aber nein, ich musste laufen und laufen. Ich schaute immer wieder auf die Namensschilder der Häuser und keines hiess so wie unser B&B. Ich hätte mir sehnlichst einen Kaffee gewünscht. Sämi hat dann plötzlich einen Zug drauf und ich trotte hinterher und habe dann aber auch überhaupt keine Lust für irgendwelche Gespräche.

Dafür ist unsere Gastgeberin heute wieder eine grosse Show: eine ältere Dame, die uns (richtig englisch) zu Kaffee und Tee mit Scones einlädt. Sie lässt uns zuerst frisch machen und erwartet uns dann fast ungeduldig.

Am Abend treffen wir beim Abendessen nochmals Bruder Klaus. Er sitzt alleine und macht sich in einem kleinen Büchlein wie ein Reporter Notizen. Er wird einen Tag hier in Shap Pause einlegen. Damit auch ihm: alles Gute auf dem weiteren Weg.

Keine Neuigkeiten haben wir von den Manchstern. Wir machen uns schon etwas Sorgen. Falls sie den heutigen Tag überhaupt angetreten haben, dürfte es für sie nochmals sehr hart geworden sein – denn für uns war es ein harter Tag.

Auch wenn der Tag sehr hart war, geht es uns körperlich immer noch gut. Der Muskelkater bleibt nach wie vor aus. Ich pflege meine kleinen Zehen jeden Morgen. Im Moment kleben Compeed-Pflaster darauf. Wenn ich eingelaufen bin, spüre ich sie fast nicht mehr!

Wo sich Spreu vom Weizen trennt

Kilometer gelaufen: 26.01km

Benötige Zeit: 7 Stunden 27 Minuten

Meter rauf: 1’100m

Meter runter: 1’044m

Höchster Punkt: 609m

Temperatur: 20 Grad

Viehzäune durchquert: 16

Heute war der erste Tag, an dem wir gegenüber einem „normalen“ Wanderpensum zwei Etappen hatten. Sprich: Während die meisten Wanderer einen Pass machen, haben wir – so als entspannendes Nachmittagsprogramm – einen zweiten Pass über die Hügel des Lake District gefressen. Alles aber der Reihe nach. In Rosthwaite (ich habe den Namen nie ausgesprochen und ich würde mir nie anmassen, diesen Namen je auszusprechen) haben wir ein „nobles“ Morgenessen genossen. Da wir ja nicht in einem B&B übernachteten, sondern in einem richtigen Hotel, war das Morgenessen doch etwas übiger. Es gab sogar Pancakes, mit Speck! Und Ahornsirup!! Die richtige Stärkung für mich. Dazu meinen obligaten Tee. Julia hatte ihren obligaten Kaffee bestellt. Als sie ihn sich aber in die Tasse goss, wollte sie schon nach meinem Tee greifen, im festen Glauben, dass Tee und Kaffee durch das vornehme Servicepersonal verwechselt wurde. Dem war aber nicht so – zu meiner Belustigung und Julias Frust.

Beim Morgenessen trafen wir aber auch auf alte Bekannte: Das ältere Paar aus Manchester. Sie berichteten uns, dass sie am Tag vorher bei der Strecke am See ziemlich gelitten hatten und nun auf eine ruhigere Etappe hofften. „Good luck and keep fingers crossed“ rief sie uns nach, als sie vor uns den Speisesaal verliessen. Ebenfalls im Speisesaal trafen wir auf zwei Familien, die uns schon am Tag vorher aufgefallen sind. Nach einer halben Stunde Fett reinschieben (für mich) und gesunde Früchte essen (für Julia), gingen wir nochmals aufs Zimmer, um alles noch für den Tag zu richten. Dann liefen wir los. Ich hatte bereits bei der Planung diese Etappe als eine der Schlüsselstrecken identifiziert. Damals aber noch ohne die Erfahrungen des englischen Kartenmaterials. Vor allem war klar, dass wir heute ziemlich Druck machen müssten, um 1. eine schöne Kaffeepause einlegen zu können und 2. eine mögliche zweite Gorillaaktion durchziehen zu können (wann kommt man schon am zweit höchsten Gipfel Englands vorbei). Der Weg zeigte sich anfänglich von seiner sonnigen Seite. Er zog sich am Talboden einem Fluss entlang, zwischen Bäumen und Steinmauern hindurch. Richtig romatisch und typisch für den Lake District halt. Nach zwei Kilometern dann wurde es etwas steiler. Bäume wichen Felsbrocken und man hatte das Gefühl, dass die Seinmauern hier oben sehr gezielt auf dem Weg verstreut wurden. Wir stiessen auf die beiden aus Manchester und die beiden Familien, die etwas über 30 Minuten vor uns gestartet waren. Beide Gruppen waren am Rasten. Wir zogen an ihnen vorbei, wobei sich die Familie direkt an unsere Fersen heftete. Dann kam es: ca. 150m Höhenmeter fast senkrecht in einer Wand (wer sich nun fragt, warum ich Genie das nicht wusste: WEIL ES NIRGENDS AUF DIESEN KARTEN SO VERZEICHNET IST!!!). Ein Teil der Familien zog direkt an uns vorbei, wobei ich so für mich dachte, dass das gut wäre, da ich dann nicht die nächte halbe Stunde mit Weg suchen im Felsen beschäftigt sein würde. Natürlich ging es gefühlte zwei Minuten, bis wir irgendwo im Judihui standen und ich die Führung übernehmen durfte. Nach dieser Wand kamen wir auf eine kleine Höhenebene namens Lining Grag. Dort trafen wir auf eine weitere bekannte Gruppe: Die Bourbakis rasteten dort. Julia und ich enschlossen uns, dass wir nun rasch weiter ziehen wollten und auch noch die letzten Höhenmeter dieses ersten Passes überwinden wollten. Sie montierte zum ersten Mal ihr Soft-Shell, nachdem sie noch am Morgen gefragt hatte, warum sie es den ganzen Tag in ihrem Rucksach ausführen müsse und nur dank meinem Insistieren wieder mitnahm. Nun stand sie da: schwarzes Soft-Shell, Kapuze oben, schware Sonnebrille. Offensichtlich ist der schwarze Block auch im Lake District angekommen… Wir stiegen die letzten rund 100 Höhenmeter auf den 609 Meter hohen Greenup Edge auf, den wir rund 2 Stunden nach dem Start erreichten. Oben gab es dann ein Gipfelselfie.

Wir stiegen in Richtung Grasmere ab. Zwar gab es keine Felswände, die man nach unten klettern hätte müssen, doch war dieser Abstieg sehr fordernd. Steine und Felsbrocken machten die Tour zur Hochkonzentrationsübung. Entsprechend schweigsam waren wir beide. Wir brauchten für den gesamten Abstieg gerade nochmals 2 Stunden. Dabei trafen wir noch auf das Australiertrio, das wir auch schon des öfteren angetroffen hatten.

Grasmere ist ein wunderbarer Fleck Erde – idyllischer und mehr englisch geht nicht. Wir gingen in ein Kaffee „Emma’s Deli“, wo Julia eine braune Brühe, einen Fruit Scone und ich ein Crepe mit Schinken und Käse bekam. Nach den letzten 4 Stunden (wobei die offizielle Zeitschätzung für diesen Abschnitt bei 5 Stunden ist) konnten wir uns so wirklich wieder erholen. Nach 40 Minuten brachen wir wieder auf. Schliesslich hatten wir ja eine zweite Tagesetappe als Nachmittagsprogramm auf unserer to-Do-Liste. Als wir gerade Grasmere verliessen kam uns dann, so zu sagen zum Abschied, die Familie entgegen. Sie trafen gerade erst ein. Der zweite Aufstieg des Tages war weniger anstrengend. Ein einfacher Weg, ohne viel Mühsal, einfach gut 500 Höhenmeter rauf. Vorbei zuerst an Bäumen, dann an Farmen, dann an Steinen. An dieser Stelle möchte ich etwas kurz beschreiben, dass mir in den letzten Tagen schon häufig aufgefallen ist: Das Versteckspiel der Schafe. In dieser Region von England gibt es wirklich viele Schafe. Sie sind überall und immer. Sie haben aber gerade in den höheren Regionen die Angewohnheit sich in den hohen Farnen zu verstecken, so dass man sie nicht sieht. Dafür blöken sie ununterbrochen, so dass man meinen könnte, man hätte es mit sprechenden Farnen zu tun. Der zweite Pass, Grisdale, ist ca. 600 Meter hoch und wurde von uns in gut 1 Stunde und 20 Minuten bezwungen.

Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt die Option einer neuerlichen Gorillaaktion offen gelassen. Da es aber bereits spät am Nachmittag war und das Wetter sich weiter verschlechterte, verzichtete ich darauf. So hüpften wir frohen Mutes die letzten 7.5km nach Patterdale. Das B&B war dieses Mal etwas schwierig zum finden, aber auch das gelang uns nach 15 Minuten. Ein nettes Häuschen mit einer langen Geschichte. Offensichtlich hat hier schon Wainwright himself genächtigt (ohne Witz jetzt).

Im Pub stiessen wir dann auf die Manchsterin. Sie hat in Grasmere die Segel gestreckt und das Taxi genommen. Als wir nun im Pub mit ihr sprachen, war ihr Mann immer noch unterwegs. Ich bin von diesen Zwei wirklich beeindruckt: Sie haben den gleichen Laufplan wie wir und der ist wirklich nicht easy. Zudem kommt der Weg, der ab und zu den Namen Weg nicht verdient. Und sie machen diese Abenteuer trotzdem… Noch kurz wer alles in Grasemere geblieben ist und so eigentlich das Spreu von diesem Kapitel ist: die drei Australier, die Familie und die Bourbakis.

Vielleicht wollt ihr eigentlich wissen, wie es uns physisch geht. Erstaunlicherweise habe ich bis jetz noch überhaupt keinen Muskelkater verspürt. Ich konnte es fast nicht glauben, denn ich bekomme sehr oft nach längeren Wanderungen immer Wadenmuskelkater. Dieses Mal blieb er aus! Dafür spüre ich meine kleinen Zehen und versuche jeden Morgen mit einer anderen Methode sie zu polstern, damit sie die nächsten 25km mitmachen. Somit stehe ich morgens 45 Minuten, bevor Sämis Wecker klingelt auf, mache mich fertig und tape mein rechtes Knie (es hat oft zu viel Spannung drauf und deswegen kann es immer wieder schmerzen). Danach kommen die Pflästerlis für die Zehen dran. Sämi hat etwas Mühe mit seinen Fussgelenken. Aber auch das liegt unter den Erwartungen. Auch er verspürt bis jetzt noch keinen Muskelkater! Er crèmt seine Beine abends mit Murmeltiersalbe (vom Ballenberg), die nach Pfefferminze riecht aber diesen Stoff gar nicht beinhaltet, ein. Er wurde ja am ersten Tag von der Sonne grilliert. Diesen Sonnenbrand hat er mehrheitlich im Griff! Er scheint nun seine Lektion für dieses Jahr gelernt zu haben. Sehen wir dann im nächsten Jahr, ob das Learning anhält…!